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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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bemerkte er ihn rechtzeitig und behob ihn. Als das Instrument fertig war und einige Tage geruht hatte, bat Lennard Salvador, darauf zu spielen. Der Mann, der inzwischen ohne seine Brille völlig blind war und immer öfter vergaß, den Topf mit dem Holzleim zu schließen oder die Pinsel ins Glas mit Verdünner zu stellen, bevor der Lack aushärtete und sie unbrauchbar machte, setzte sich auf den Schemel, strich den mit Rosshaar bespannten Bogen leicht und mit geschlossenen Augen über die Saiten, drehte die Schrauben am Wirbelkasten, bis die Töne rein waren und warm und voll klagender Schönheit, drückte dann den Rücken durch und spielte. Er war kein besonders guter Cellist, und seine Finger, die in bald achtzig Jahren kaum einen Tag der Untätigkeit erlebt hatten, waren oft plump, wenn er sie flink, und kraftlos, wenn er sie stark haben wollte. Er kannte nur drei kurze Stücke, zwei von Brahms und eines von Bach, aber er legte so viel Herz in sein Spiel, dass die Abweichungen von der Perfektion nicht ins Gewicht fielen, die Missklänge untergingen im mächtigen Schall, der den Raum ausfüllte wie etwas Greifbares, und die Langsamkeit seiner störrischen Hände die Melodie dehnte, als wolle er sie mit Absicht nicht enden lassen.
    In der Nacht des Tages, an dem Salvador zum ersten Mal auf Lennards Cello spielte, wurde das so lange ersehnte Kind gezeugt, das drei Monate später im Bauch seiner Mutter starb. Ein Wunder müsse geschehen, sagte der Arzt, wenn Maureen noch einmal schwanger werden sollte, undein weiteres, wenn sie das Kind würde austragen können. Die magische Kraft der beiden Münzen, die vielleicht noch immer auf den bunten Fliesen des Hotelspringbrunnens lagen, war aufgebraucht, und nach einem Monat voller Schmerz und Wut richtete Maureen sich in ihrem beschädigten Leben neu ein, arbeitete wieder als Kellnerin und hörte nicht auf, an Wunder zu glauben.
    Mit ihrer Mutter telefonierte Maureen nur noch selten, und wenn sie es tat, verkamen die Gespräche zu einem distanzierten Hin und Her von Belanglosigkeiten und Wiederholungen. Es war, als gäbe es eine geheime Abmachung zwischen den beiden Frauen, die es ihnen untersagte, über ihr Unglück zu sprechen. Statt von der Unmöglichkeit, mit Eamon dort oben zu leben, erzählte Orla von einem Garten, den sie trotz des rauhen Wetters anlegen wollte, von Spaziergängen am Strand und Möbeln, die sie sich aus Dublin liefern ließ, und Maureen erfand weiterhin Reisen quer durch das Land, leere Wohnungen und vielversprechende Arbeitsplätze. Irgendwann waren die Pausen, während derer Mutter und Tochter schweigend auf das leise Rauschen in der Leitung horchten, immer länger geworden, und schließlich beschränkte sich Maureen auf kurze Pflichtmeldungen alle paar Monate und eine Grußkarte zu Weihnachten und Orlas Geburtstag.
    Lennard verkaufte das Cello an eine Musikschule in Boston, dessen Rektor ein guter Freund von Salvador war. Weil das Geld trotzdem immer knapp war und Maureen darauf beharrte, etwas zur Seite zu legen für das Kind, das sie irgendwann haben würden, nahm er eine Stelle in einer Schreinerei an, die sich auf die Restaurierung wertvoller Möbel spezialisiert hatte. Abends und an den Wochenenden baute er in der Werkstatt, deren Miete er inzwischen alleine bezahlte, Instrumente. Schon bald hatte ein Cello, das im dunklen Bauch den Sandberg-Schriftzug mit dem Notenschlüssel im ersten Buchstaben trug, einen guten Ruf als solides, zuverlässiges Instrument ohne Allüren, das vor allem Anfänger kauften und Leute, die kein Vermögen ausgeben konnten. Aber es gab auch Musiker, die den Klang und die Verarbeitung eines Sandberg-Cellos schätzten, insbesondere wenn Lennard wertvolles, gut gelagertes altes Holz verwendete, das Salvador über Jahrzehnte hinweg zusammengetragen hatte.
     
    Als eine Cellistin, die in New York im Rahmen eines Festivals für Kammermusik auftrat, Lennard bat, zu kommen und sie auf seinem Instrument spielen zu hören, fuhren er und Maureen in Begleitung der Onettis mit dem Volvo los, ohne lange zu überlegen. Lennard und Maureen waren seit Jahren nicht über die Grenzen von Pennsylvania hinausgekommen, und die Onettis hatten das letzte Mal die Stadt verlassen, um als Trauzeugen zu fungieren. Sie stiegen in einem Hotel ab, das erschwinglich und trotzdem zumutbar war, gingen ihren Möglichkeiten entsprechend nobel essen und hörten sich am Abend das Konzert in einem Theater in Brooklyn an. Am nächsten Tag unternahmen sie

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