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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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zurück.
    »Spencer ... Ihr Bruder hat gezeichnet«, sage ich, »Bleistiftzeichnungen. Ich weiß nicht, ob Sie davon wussten. Er war ein Künstler.«
    »Nein«, sagt Zelda bestimmt und offenlassend, ob sie nichts von Spencers Leidenschaft wusste oder die Bezeichnung Künstler für ihren Bruder als unangemessen empfindet.
    »Er hat uns alle gezeichnet«, sagt Alfred und löst sich einige Schritte aus dem Pulk der Männer, die zustimmend nickend und murmelnd aus einer Starre fallen. »Sein Strich ist vergleichbar mit dem von Toulouse-Lautrec oder Kandinsky.«
    Die Stille, die nach diesem Satz in der Halle steht, ist mit Händen greifbar. Zelda mustert Alfred irritiert, ihre Mundwinkel zucken. Alfred, der sich offenbar gut auf dieses Treffen vorbereitet hat, wartet ab, was passiert. Zelda sieht noch einmal auf ihre Armbanduhr, ein flaches Modell aus Gold, auf dem diskret ein paar Diamanten blitzen.
    »Wenn es nicht zu lange dauert«, sagt Zelda schließlich. »Mein Taxi wartet.«
     
    Alfred prescht vor und bietet ihr sein Geleit an, während ich zum Fahrstuhl gehe und auf den Knopf drücke. »Mein Name ist übrigens Alfred«, sagt er, »Alfred Kerkin.« Es scheint ihm nichts auszumachen, dass sie ihm keinerlei Beachtung schenkt, vielleicht lässt er sich auch bloß nichts anmerken. »Ich war ein enger Freund und großer Bewunderer Ihres Bruders, Gott hab ihn selig.«
    Im Fahrstuhl quatscht er weiter und hört nicht auf, bis wir vor dem Zimmer stehen. Zelda bittet darum, alleine hineingehen zu dürfen. Ohne eine Antwort abzuwarten, betritt sie den dunklen Raum und schließt die Tür hinter sich.
     
    Nach einer halben Stunde, während der Alfred mich mit geflüsterten Fragen und Spekulationen genervt hat, öffnet sich die Tür. Zelda hat geweint, das Schwarz um ihre Augen ist nachgezogen, Schminke und Puder sind frisch aufgetragen. Sie hat ein Bild von der Wand genommen, presst es mit beiden Händen gegen ihren Bauch. Mit gesenktem Blick geht sie zum Fahrstuhl, Alfred und ich folgen ihr. Die Fahrt ins Erdgeschoss dauert zehn Sekunden, lange genug für Alfred, um Zelda zu fragen, warum sie ohne ihren Gatten nach New York gekommen sei. Als die Lifttür sich öffnet, sagt Zelda ruhig, es gebe keinen Ehemann, und durchschreitet dann eilig die Halle, ohne von den Männern Notiz zu nehmen, die aus den Sesseln und Sofas aufgesprungen sind wie Reporter, die ein Gerichtsurteil erwarten.
    Vor dem Hotel steigt Zelda in ein Taxi, ich setze mich neben sie, und Alfred nimmt neben dem Fahrer Platz. Fünfzehn Minuten lang redet Alfred von den philosophischen Diskursen, die Spencer und ihn durch die Nächte getragen haben, von der Willkürlichkeit, mit der Gott seine Kinder zu sich holt, von einer Reise durch Nevada als junger Mann, von Toulouse-Lautrec und Cézanne und Degas. Dabei dreht er sich dauernd um, und weder Zeldas Desinteresse, das in Wut umzuschlagen droht, noch meine eindringlichen Blicke und stumm geformten Worte bringen ihn zum Schweigen.
    Auf dem Friedhof begleiten wir Zelda zum Grab ihres Bruders, wo sie mir einen Umschlag überreicht und sich bei mir bedankt und verabschiedet. Alfred will zu einer Betrachtung über die Untröstlichkeit voreinem Grab anheben, aber ich ziehe ihn weg. Ich hätte Zelda gerne gefragt, welche Zeichnung sie mitgenommen habe, denn sie hat sie die ganze Zeit mit dem Glas gegen ihren Bauch gehalten, aber mir fehlt Alfreds Unverfrorenheit. Bevor wir den Friedhof verlassen, drehen wir uns um und sehen Zelda als weiß glitzernden Punkt zwischen den Grabsteinen.
    »Sie weint wieder«, sage ich.
    »Sie ist einsam«, sagt Alfred. Er legt mir seine Hand auf die Schulter. »Du hast doch ihre Telefonnummer, nicht wahr?«
     
    Ich habe Randolph gefragt, ob ich Spencers Bilder in der Lobby aufhängen darf, und er hat den Besitzer angerufen, der es unter der Bedingung erlaubt hat, dass ich gleich sämtliche Wände neu streiche. Alfred hat die Farbe billig aufgetrieben, und Dobbs und Enrique haben mir beim Malen geholfen, die anderen beim Aufhängen. Wir haben eine kleine Vernissage veranstaltet, ein paar Nachbarn, Ladenbesitzer aus der Gegend und Passanten sind gekommen.
    In dem Umschlag, den Zelda mir auf dem Friedhof gegeben hat, waren fünfhundert Dollar und eine Karte, auf der sie sich für meine Hilfe bedankt und schreibt, ich solle mit Spencers Sachen tun, was ich für richtig halte. Am gleichen Tag bin ich in sein ehemaliges Zimmer umgezogen. Die hellen Rechtecke an den Wänden, wo früher die Bilder

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