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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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mit den restlichen Andenken an seine Vergangenheit unter das Bett. Natürlich entging es ihm nicht, wie sehr Alice den Bezug der neuen Wohnung als Versprechen auf Glück und Harmonie empfand, und er gab sich Mühe, ihre oft angestrengt gute Laune nicht zu trüben. Aber so gemütlich Alice alles einrichtete, so wenig konnte sie verhindern, dass Wilbur sich von ihr entfernte. Statt nach Hause zu kommen und mit ihr zu essen, setzte er sich lieber in ein Kino, eine Spielhalle oder Kneipe, von wo er erst spätnachts heimkehrte, wenn Alice längst schlief. Regnete es am Sonntag, nahm er das als Grund, die gemeinsame Fahrt zum Park auszulassen und stattdessen alleine loszuziehen. Wenn Alice ihn fragte, was er vorhabe, erhielt sie die Antwort, er wolle am Buch arbeiten, und ahnte nicht, dass die Biografie mittlerweile über vierhundert handgeschriebene Seiten dick und weit entfernt von einem Abschluss war.
    Im Laden fühlte sich Alice Wilbur am nächsten. Sie liebte es, ihn mit Kunden sprechen zu hören, und war selber dankbar für jedes Wort, das er mit ihr wechselte, auch wenn der Grund dafür meistens geschäftlicher Natur war. Zuzusehen, wie er mit schlafwandlerischer Sicherheit Artikel aus den überfüllten Regalen holte, in den Katalogen nach ausgefallenen Produkten suchte oder die Kasse bediente, erfüllte sie mit Freude, die nur durch den Umstand getrübt wurde, dass sie sich der Vergänglichkeit dieses Glücks bewusst war. Aus dem zurückhaltenden, aber neugierigen und offenen Jungen, den sie vor mehr als einem Jahr in ihr Leben geholthatte, war ein verschlossener Mann geworden, für dessen Eigentümlichkeiten, Komplexe und Probleme sie zwar reichlich Erklärungen, aber keine Lösungen hatte.
     
    An einem jener Sonntage, an denen es regnete und Wilbur schon am Morgen die Wohnung verließ, um sich in einem Kino in Manhattan die Matineevorstellung anzusehen, traf Alice eine Frau, die gelegentlich als Kundin in den Laden kam und in ihrer Freizeit Pullis, Schals und Mützen aus naturbelassener Wolle strickte. Ruth Cole war vierzig und geschieden und lebte mit ihren drei Kindern ein paar Straßen weiter in einer Wohnung über der Autowerkstatt ihres Bruders. Morgens arbeitete sie im Büro der Werkstatt, nachmittags strickte sie, und alle paar Monate verkaufte sie ihre Waren unter einem Goodyear -Sonnenschirm auf dem Markt. Alice lud sie zum Kaffee ein und schlug ihr vor, die Sachen im Laden anzubieten, und Ruth Cole gefiel die Idee. Weil der Verkaufsraum für weitere Artikel zu klein war, sah Alice sich in der Straße nach einem geeigneten Objekt um und fand eine ehemalige Zoohandlung, die zur Miete ausgeschrieben war.
    Sie erzählte Wilbur von ihrem Plan, und am selben Abend trafen sie den Makler und besichtigten den Laden, in dem noch immer leere Käfige und Aquarien standen und der nach Fischfutter roch. Alice war voller Energie, redete von einem neuen Boden, indirektem Licht und flexiblen Regalsystemen, von Kleidern aus biologischer Baumwolle und Seide und schließlich davon, auch Gesundheitsschuhe ins Sortiment aufzunehmen, vielleicht sogar Hüte und Handtaschen aus natürlichen Materialien. Der Makler, ein übergewichtiger Mann mit schulterlangem grauem Haar, bejubelte jeden von Alices Einrichtungsvorschlägen mit seiner tiefen, dröhnenden Stimme und ließ ihre spontan geäußerte Idee, in dem Laden auch Teppiche aus Hanffasern und Sisal anzubieten, im gleißenden Licht seiner uneingeschränkten Zustimmung leuchten.
    Während die beiden laut zählend den mit Sägemehl, Stroh, fleckigen Zeitungen und Kassenzetteln bedeckten Boden abschritten, den idealsten Standort für den Kassentisch berieten und beim Fund eines hinter einem Rollschrank zerquetschten und in der trockenen Heizungsluft mumifizierten Hamsters in kindisches Gelächter ausbrachen, standWilbur bei der Eingangstür und sah auf die Straße, wo ein heftiger Regen den Müll durch die Rinnsteine schwemmte. Es war dunkel, Leute ohne Schirm hasteten vorbei, das Geräusch von Reifen, die durch Pfützen glitten, drang herein. PET SHOP A . ZEGOYAN stand auf der Schaufensterscheibe, darunter, mit abwaschbarer roter Farbe hingepinselt, HUNDEWELPEN . Wilbur erinnerte sich an die jungen Hunde, die sich das Schaufenstergehege mit Kaninchen geteilt und die Scheibe abgeleckt hatten, wenn man draußen die Hand dagegen hielt. Er war nie lange vor dem Geschäft stehen geblieben und irgendwann nur noch auf der anderen Straßenseite gegangen, um sich den Anblick der Hunde

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