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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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satt sehen an den Details und der kunstvollen Bemalung. »Deine Freundin?« Er schiebt die Brille hoch und sieht mich kurz an, um sich dann einer anderen Figur zuzuwenden, einer Frau in wallenden Gewändern, die sich mit einer Hand auf ein Gewehr stützt und auf deren abgewinkeltem Arm ein Falke sitzt. Winson kneift die Augen zusammen, seufzt.
    Ich stelle die Kiste auf den Boden neben die andere. »Ich weiß nicht mal, wo sie wohnt.«
    Winston stellt die Figuren in eine Vitrine. »Danke fürs Reintragen«, sagt er.
    Ich murmle ein »Nichts zu danken« und gehe zur offenen Tür.
    »Will?«
    Ich bleibe stehen und drehe mich um.
    »Du wirst sie schon finden.« Winston hält die Figur eines sich umschlingenden Paares in der Hand, um das sich Gänse scharen.
    Ich nicke, vermutlich nicht sehr überzeugend, dann verlasse ich den Laden.
     
    Am nächsten Tag bin ich früh wach. Die Nachtschicht ist mir endlos lang vorgekommen, weil keiner der Männer in der Lobby war und nicht mal Dobbs runterkam, um mir Gesellschaft zu leisten. Am Ende der Schicht war ich hundemüde, aber schlafen konnte ich trotzdem nicht. In der Küche habe ich mir eine Tasse Kaffee und einen Doughnut geholt und sitze in der Lobby auf einem Sofa. Randolph verhandelt mit einem Gast den Preis für ein Zimmer. Der Mann, der nicht viel älter als sechzig ist, trägt eine graue Hose und eine blaue Jacke, aus der sein kleiner bleicher Kopf ragt wie aus einem vom Wind geblähten Zelt. Offenbar werden die beiden sich einig, denn der Mann legt Geld auf den Tresen, nimmt seinen Koffer und die Tasche und schlurft die Treppe hoch. Ich sehe mir die drei Säulen an, die zwischen dem Fliesenboden des Empfangsbereichs und den renovierten Dielen der Sitzecke stehen und deren Holzverkleidung von einer Schicht dunkelbrauner Farbe überzogen ist. Nachdem ich den Kaffee ausgetrunken habe, stehe ich auf und klopfe mit dem Knöchel des Zeigefingers gegen das Holz.
    »Ich wette, das waren mal sehr schöne Säulen aus einem guten Holz«, sage ich.
    »Schon möglich«, sagt Randolph, ohne vom Bildschirm des Computers aufzusehen. Wenn draußen kein Auto vorbeifährt, ist das leise Klacken der Tastatur zu hören. Manchmal rauscht Wasser durch eine Röhre in den Wänden. In der zweiten Etage stochert ein Schlüssel im Loch, dann schließt sich eine Tür. Der neue Gast steht jetzt in seinem Zimmer und fragt sich, wie es so weit kommen konnte. Wenn er lange genug bleibt, reiße ich ihm den Teppich unter den Füßen weg und poliere ihm den Boden so blank, dass er nie mehr weg will. Müdigkeit erfasst mich bei dem Gedanken, die restlichen achtundzwanzig Zimmer des Hotels zu renovieren, aber auch eine seltsame Ruhe. Randolph dreht an der Skala des Radios, knisternde Stimmen ertönen und Fetzen prasselnder, verzerrter Musik.
    »Die Farbe lässt sich abbeizen. Dauert zwei Tage pro Säule, vielleicht drei.« Ich löse mit dem Fingernagel ein Stück Farbe vom Holz.
    »Mir gefallen sie, wie sie sind«, sagt Randolph.
    »Vielleicht helfen mir Dobbs und Alfred, dann sind wir in einer Woche fertig.« Ich gehe zur Empfangstheke und fahre mit der Hand überdie zerkratzte Arbeitsfläche. »Abgeschliffen und geölt könnte das ein Schmuckstück sein.« Ich klatsche mit der flachen Hand auf das Holz, damit Randolph merkt, dass ich von der Theke rede.
    Randolph dreht das Radio leiser und sieht mich an. »Warum tust du das, Will?«
    »Was meinst du?«
    »Warum lebst du hier? Warum arbeitest du hier? Warum bist du besessen von der Idee, jedes Stück Holz in diesem Hotel freizulegen?«
    »Was soll das? Ich brauche ein Dach über dem Kopf und einen Job. Und in meiner Freizeit renoviere ich ein paar Zimmer.«
    »Stimmt das mit deinem Vater?«
    Es dauert einen Moment, bis mir klar wird, dass alle, die gestern Abend in der Lobby waren, die Unterhaltung zwischen Aimee und mir mitbekommen haben. Laut genug waren wir ja. Mein Blick ist auf die Holzfläche gerichtet, deren mit Schmutz und Tinte verfärbten Kratzer ein dunkles Gewirr bilden, in dem hastig eingeritzte Initialen und Symbole zu erkennen sind.
    »Kann ich den Schlüssel für den Abstellraum haben?« frage ich schließlich und so kühl und beherrscht wie möglich. Ich habe keine Lust, mich mit Randolph über meinen Vater zu unterhalten.
    »Wozu?« Randolph sieht mich noch immer an, was sehr ungewöhnlich ist, denn meistens gibt er einem das Gefühl, man sei einen Blickkontakt nicht wert.
    »Ich will die Leiter holen, das Werkzeug.«
    »Wozu?«
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