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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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ich berühre sie am Arm, und sie bleibt stehen.
    »Ich habe monatelang nach meinem Vater gesucht«, sage ich. Meine Finger zupfen an ihrem Ärmel, und als ich es merke, lasse ich die Hand sinken. »Und dann, nach einer Ewigkeit, habe ich ihn gefunden. Nach so vielen Jahren habe ich ihn endlich gefunden und konnte ihm nicht sagen, wie wütend ich auf ihn bin.«
    »Du bist ein Idiot«, sagt Aimee mit bedauerndem Unterton.
    »Du wiederholst dich, verdammt noch mal!« brülle ich sie an. Ich habe die Schnauze voll von ihren Vorwürfen. Wenn sie mich loswerden will, um mit ihrem Zooheini glücklich zu werden, muss sie es mir nur sagen, aber ihre ständigen Beleidigungen habe ich satt.
    »Das weiß ich, du Idiot!« brüllt Aimee zurück. »Idiot!« Ihr Kopf ist plötzlich rot. Sie holt Luft und ballt die Fäuste, aber statt sich zu beruhigen, brüllt sie weiter. Ihre Stimme ist gigantisch, schwingend vor Zorn und trotzdem gefasst. Bestimmt kann Dobbs sie in seinem Zimmer hören. »Dein Vater hatte einen Schlaganfall! Er ist nicht tot! Du musst nicht an sein Grab gehen, um ihm zu sagen, dass du ihn vermisst! Du kannstjeden Tag bei ihm sein und ihm helfen, so lange, bis er dich versteht und weiß, wer du bist, und dann kannst du deinen aufgestauten dämlichen Frust an ihm auslassen!« Sie dreht sich um und geht durch die Lobby zum Ausgang, ihre Arme fliegen in die Luft. »Aber du, du verkriechst dich in diesem verfluchten Hotel und richtest dich ein, als ob du die nächsten siebzig Jahre hier verbringen willst!«
    Ich folge ihr und nehme Randolph wahr, der hinter der Empfangstheke sitzt, und die Gesichter der Lobbyisten, die sich in einem synchronen Schwenk mit Aimee zur Tür bewegen, und am liebsten würde ich allen unter Androhung von Prügel raten, sich wieder um ihren eigenen Scheiß zu kümmern, aber Aimee rennt schon durch den Vorhang.
    »Ich liebe dich!« rufe ich ihr hinterher und bleibe stehen. Es ist mir egal, dass mich alle anglotzen, Zeitungen und Dominosteine und Zigaretten in den vor Neugier und Verwunderung erschlafften Händen haltend. Es kümmert mich nicht, dass ich acht Zeugen für diesen Satz habe. Meinetwegen sollen sie sich Popcorn holen, das Licht ausmachen und vergessen zu atmen.
    Nach einer effektvollen Pause teilt sich der Vorhang, und Aimee erscheint. Die Stille im Raum ist intensiver als der Lärm eines vorbeirasenden Güterzuges.
    »Noch ein Problem, großartig!« ruft Aimee und klingt gleichzeitig genervt und erheitert, ihre Augen blitzen. »Wenn du die andern gelöst hast, kannst du dich ja darum kümmern.« Damit geht sie. Ein Hauch kalter Luft weht durch den sich schließenden Vorhang. Die schwere Tür quietscht und fällt gleich darauf ins Schloss.
    Mazursky klatscht vorsichtig Beifall, hört aber sofort auf, als ich den Kopf in seine Richtung drehe. Noch immer starren mich alle an. In ihren Blicken liegt erwartungsvolle Unruhe, als sei ich ein Schauspieler, der vergessen hat, wie das Stück weitergeht. Elwoods Mund steht offen. Trotz seiner Schwerhörigkeit dürfte er den Dialog einwandfrei verstanden haben. Die beiden Neuen, die offenbar ein Zimmer für die Nacht gebucht haben, halten je einen Teller in den Händen, auf denen angebissene Brote liegen. Wahrscheinlich denken sie, das hier sei so eine Art Abendveranstaltung, ein flotter Einakter, und vergessen mit vollen Backen zu kauen.
     
    Ich weiß tatsächlich nicht, was ich tun soll. Die Uhr über der Empfangstheke tickt plötzlich so laut, dass ich zusammenzucke. Enrique schüttelt den Kopf, meine Vorstellung scheint ihn zu enttäuschen.
    »Was stehst du noch rum, Mann?« ruft Alfred schließlich. »Geh ihr nach!«
    Ich sehe noch, wie Harvey mir aufmunternd zunickt, dann renne ich hinaus auf die Straße, wo Aimee gerade in einem Taxi davonfährt. Auf dem Gehsteig steht eine Kiste, eine zweite trägt Winston in seinen Laden. Damit ist auch die Frage geklärt, warum sich ein Taxi in unsere Straße verirrt hat. Eine Weile stehe ich noch da und lausche dem Echo meines letzten Satzes, dann hebe ich die Kiste hoch und bringe sie Winston. Er steht vor einem Klapptisch und wickelt kleine Porzellanfiguren aus Zeitungspapier.
    »Ich wollte sie noch mit einem Schwätzchen über das Wetter aufhalten, aber sie schien es sehr eilig zu haben«, sagt Winston und betrachtet eine Figur, die einen im Stroh schlafenden Bauernjungen darstellt. Ein Schlapphut liegt auf dem Gesicht des Jungen, auf seinem Bauch hockt ein dösendes Huhn. Winston kann sich kaum

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