Nach Hause schwimmen
elften Stock. Vor der Wohnungstür schnappe ich nach Luft, die Augen geschlossen. Alice nimmt meine Hand, und die Faust öffnet sich. Sie sagt etwas, ihre Stimme ist sanft und ruhig, und ich nicke. Sekunden nachdem Alice geklingelt hat, öffnet Nathalie die Tür. Sie hat sich verändert. Ihr Gesicht, ihre Stimme, ihre Augen und Bewegungen, alles ist anders, lebendiger. Ich bin überrascht, als sie mich umarmt, und lasse es geschehen. Aus der Küche dringt leise Musik.
Ich habe das Gefühl, neben mir zu stehen. Ein Teil von mir beantwortet Fragen und nimmt wahr, dass die Musik ein Walzer ist, der Rest atmet heftig, geht durch den schummrigen Flur und betritt das hinterste Zimmer. Mein Magen ist ein leerer Ballon, ich schwebe. In meinem Kopf ist plötzlich Stille. Ich bin klein, noch kleiner als in Wirklichkeit. Mein Herz schlägt langsamer, Ruhe erfasst mich wie ein warmer Wind.
Mein Vater sitzt aufrecht im Bett, und vermutlich bilde ich mir nur ein, dass er lächelt. Ich setze mich zu ihm und nehme noch einmal seine Hand.
Drei Wochen später stehe ich in der Bronx am Eingang des Zoos in der Fordham Road. Heute Morgen um elf habe ich das rot und weiß gestrichene Haus mit der schwarzen Feuerleiter gefunden. Fünfeinhalb Tage brauchte ich dazu. Eine von Aimees Mitbewohnerinnen streckte den Kopf aus dem Fenster, und nach langem Hin und Her verriet sie mir endlich, dass Aimee bei Stewart im Zoo sei. Als ich ging, rief sie mir nach, ich soll Aimee in Ruhe lassen. Ich habe mich nicht mehr nach ihr umgedreht, bin losgerannt und habe mir auf der Webster Avenue ein Taxi geschnappt.
Obwohl es der erste einigermaßen warme Tag des Jahres ist, sind nicht viele Besucher da. Ich bezahle Eintritt und sprinte los, über einen Platz, wo gebaut wird, vorbei am Affenhaus und einen gewundenen Weg zwischen Bäumen entlang. Nach einer Biegung kommt mir eine Schulklasse entgegen, und ich pralle fast in die vordersten Kinder und eine Lehrerinhinein. Immer zwei Kinder halten sich an der Hand, alle tragen gelbe Mützen und sehen mich an, als sei ich ein entlaufenes Tier. Vor einem Café sitzen alte Leute und recken die Gesichter in Richtung Sonne. Ich frage einen Mann, der einen Wegweiser repariert, nach Stewart, aber der Kerl kennt ihn nicht. Ein Reiher oder Kranich läuft über den Weg und verschwindet in einer Gruppe von Büschen. Ich könnte auch normal gehen, trotzdem renne ich, überzeugt, dass jede Sekunde zählt.
Auf einem Platz rufe ich laut nach Aimee, und vom Dach eines Gebäudes fliegen Vögel hoch, Tauben. In der Wiese neben einem Weg steht ein Fahrzeug. Auf der Ladefläche liegen Holzpfosten, Rollen mit Draht und Werkzeuge. Zwei Männer heben mit Spaten Löcher aus der Erde. Sie kennen Stewart, wissen aber nicht, wo er ist. Ich bedanke mich und trabe schwitzend und keuchend weiter. Einer der Männer ruft mir nach, ich dürfe hier nicht rennen. Auf einem Platz sitzen Kinder auf Klappstühlen und zeichnen Flamingos, die reglos in einem Teich stehen. Ich zwinge mich, zwischen ihnen hindurchzuschlendern, dann hetze ich weiter.
Aimee steht auf einem eingezäunten Stück Land, neben sich Stewart. Gelbe Helme sitzen auf ihren Köpfen. Die beiden halten ein großes Stück Papier in den Händen, einen Plan vermutlich, und Stewart deutet mit einem Arm über die aufgewühlte Erde hinweg. Ein Bagger schiebt einen Felsbrocken vor sich her. Bäume, deren Wurzelballen in Plastik gewickelt sind, liegen herum. In einer entfernten Ecke des Geländes sind Arbeiter damit beschäftigt, noch mehr Bäume von einem Lastwagen zu laden.
Ich klettere über eine Absperrung, hinter der ein Streifen ungemähter Rasen liegt, und bleibe vor einem Betongraben stehen. Der Graben ist mit schmutzigem Wasser gefüllt, auf dem Blätter treiben. Das Wasser ist braun, hat die Farbe von Tee. Ich kann den Grund sehen, Steine und Äste, möglicherweise sogar etwas Lebendiges, Wuselndes. An einer Seite ist der Graben von einem hohen Drahtzaun begrenzt, an der anderen beschreibt er eine Kurve und verläuft ins Endlose. Ich rufe nach Aimee, aber der Lärm des Baggers übertönt alles. Der Zaun ist mindestens drei Meter hoch, ganz oben verläuft Stacheldraht, in dem bunte Plastikfetzen flattern. Stewart faltet den Plan zusammen und legt seinen Arm umAimee, und ich denke daran, einen Stein nach ihm zu werfen. Aber ich bin ein schlechter Schütze, ich würde nicht einmal den Bagger treffen. In der Sekunde, in der ich Aimees Namen brülle, verstummt der
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