Nach Norden, Strolch
Raufbold umgebracht hast!« protestierte sie.
»Man kann und wird es wahrscheinlich sogar«, entgegnete er ernst. »Meine einzige Hoffnung ist Elfrieda - sie ist sehr klug.«
Oktober war vor Erstaunen sprachlos.
»Aber … ich dachte, daß sie dich verhaften lassen wollte, wenn sie nur könnte …? So hatte ich verstanden. Haßt sie dich denn nicht?«
Er nickte nur.
»Sie kann mich nicht ausstehen!« sagte er schließlich. »Aber das Letzte, was sie auf Erden wünscht, ist meine Verhaftung. Elfrieda würde sich die Ringe von den Fingern reißen, die Brillanten aus den Ohren und ihre Perlen, die das Lösegeld für einen König sein könnten, vom Hals, um meine Verhaftung zu verhüten! Das ist doch ihre größte Sorge, und sie wird mir nie verzeihen, daß ich die öffentliche Aufmerksamkeit auf mich gelenkt habe. Wenn du in Elfriedas Seele hineinschauen könntest, würdest du sie voll Verzweiflung finden. Arme, alte Elfrieda!«
Oktober setzte sich in ihre Ecke zurück und stöhnte.
»Ich verstehe nichts von der ganzen Geschichte. Was ist das für ein Geheimnis? Erst läßt du mich glauben, daß diese unglückliche, alte Frau dich haßt, dann erzählst du mir, sie würde ihren Schmuck verkaufen - wie ich es ja bereits getan habe um dich zu retten. Dann nennst du sie ›arme, alte Elfrieda‹, als wäre sie deine beste Freundin!«
»Ich bin von Natur geheimnisvoll«, sagte er bescheiden, wurde aber gleich darauf wieder ernst. »Das Wichtigste ist folgendes: Wir sind zu erkennen. Und zwar ist es das Auto, das uns verrät. Ich weiß nicht, ob der Eigentümer sich schon mit der Polizei in Verbindung gesetzt hat - es ist noch ziemlich früh am Tag -, aber das Risiko, das wir auf uns nehmen, wird mit jeder Stunde größer. Jede Tankstelle der Gegend wird benachrichtigt werden. Unser Freund, dessen Garderobe ich augenblicklich trage, wird uns bestimmt verraten. Die einzige Hoffnung in dieser Richtung ist, daß er nicht erzählt, die Kleider gegen deine Uhr eingetauscht zu haben. Wahrscheinlich wird er das nicht tun. Er wird denken, daß die Uhr gestohlen war und daß er, wenn er die Wahrheit sagt, nur Geld und Kleidung verliert. Er wird einfach erzählen, daß wir getankt haben und weitergefahren sind.«
»Was sollen wir denn mit dem Auto anfangen?« fragte sie nachdenklich.
»Stehenlassen - nicht hier, aber in der Nähe irgendeiner kleinen Stadt. Du mußt auch deinen Mantel liegenlassen, der sieht zu auffallend aus.«
Er nahm sein Hemd wieder an sich, es war stellenweise trocken, sogar mit gelben Brandflecken hier und da. Oktober machte einen Vorschlag. Darauf wurde ein dünner Erlenzweig abgebrochen, an dessen Enden das Hemd an seinen Ärmeln befestigt wurde. Es war kaum Wind genug, das Wäschestück zu bewegen, aber sowie sie losfuhren, fing die Brise sich in dieser wehenden Fahne und füllte sie wie eine dicke, formlose Wurst.
»Eigentlich ein Symbol der Kapitulation und ein ganz klein wenig auffällig«, sagte Robin, aufblickend, »dafür aber praktisch.«
Glücklicherweise war die Straße verlassen, und der einzige Mann, der dieses seltsame Banner erblickte, fand dafür eine völlig natürliche Erklärung. Sie mußten ihre Fahne einmal niederlassen, als sie an einem Bauernwagen vorbeifuhren. Als die Straße dann belebter wurde, war das Hemd bereits trocken. In der Tat kamen sie unerwartet und plötzlich bei der ersten Wegkreuzung in dichten Verkehr - zwei leichte Einspänner, mehrere Fordwagen, ein kleiner Lieferwagen, voll mit jungen Mädchen und Männern in Sonntagskleidung, ein Lastauto, in dem sich Musikanten in seltsamen Uniformen befanden -, alles das kam in Sicht, als sich ihr Auto heiser keuchend einen langen, steilen Berg emporkämpfte.
»Die fahren alle zur Gutsbesitzertagung«, sagte das. Mädchen, das sich plötzlich daran erinnerte.
Es war klar, daß die Tagung eine ziemlich wichtige Angelegenheit sein mußte.
»Mr. Elmer ist doch der Präsident oder so was Ähnliches …«
Sie wußte nicht genau den Namen der Stadt, wo die Tagung abgehalten werden sollte, aber sie hatte gehört, daß sie stets den Anlaß zu wilder Fröhlichkeit gab. Mr. und Mrs. Elmer sprachen oft von einer Dame, die Schwerter schluckte, und einem Herrn, der seinen Kopf in den Rachen eines Löwen steckte. Und in ihrer unverfälschten Bewunderung dieser kühnen Leistungen wurden sie beinahe menschlich.
Dies alles erzählte Oktober, während sie langsam auf die vor ihnen liegende Querstraße fuhren. Robin entschloß, sich
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