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Nach Norden, Strolch

Nach Norden, Strolch

Titel: Nach Norden, Strolch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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las, bestimmt inzwischen ausgelesen. Ob ich wohl explodiert wäre?«
    »Ich denke schon.« Er nickte. »Es wäre meinerseits eine schlecht gewählte Gelegenheit gewesen. Ich kannte einen Kerl, der ins Meer sprang, um ein ertrinkendes Mädchen zu retten. Sie war sehr hübsch. Sie mochte ihn recht gern, aber im Schwimmen gab er ihr einen Kuß. Sie hat es ihm nie verziehen.«
    Während des ganzen Gesprächs hatte sie die Augen nicht von seinem Gesicht gewandt.
    »Ich hasse deinen Schnurrbart«, sagte sie.
    »Das war auch ein Grund, weshalb ich dich nicht küssen konnte«, sagte er, und sie errötete.
    »Daran habe ich nicht gedacht - doch, ich habe daran gedacht! Jetzt ist es zu spät, um zu lügen. Ich habe daran gedacht. Dieser Schnurrbart mit den spitzen Enden … wie ein italienischer Bankier oder das Ideal eines Dienstmädchens -«
    »Hallo, ›Penner!‹ Wartest du auf einen Frachter?«
    Eine gebrochene, dumpfe Stimme rief es, und Robin sprang auf. Ein kleiner Mann in einem verblaßten Frauenkimono stand in der Türöffnung. Sein Kopf stak in weißen Mullbinden, seine mageren Füße waren nackt. Mit kreidebleichem Gesicht starrte er Robin an.
    »Los, los! Dann sind wir bis zum Morgen in Troy, und da gibt’s genug Schlupfwinkel …«
    Es war ›Kahlköpfchen‹, der Strolch, der mit flackernden Augen in dieses ruhige Zimmer hineintorkelte. Die Knie des alten Mannes wankten, und Robin fing ihn gerade noch in seinen Armen auf.
    »Wie?« Er blickte Robin ins Gesicht.
    »Der Kerl hat mich geschmissen, Strolch - und dabei hatte der Zug glatt seine vierzig! Hat mich gepackt und geschmissen!« Sein Kopf fiel vornüber.
    »Was sagt er?« fragte das verwirrte Mädchen. »Ich kann ihn nicht verstehen.«
    »Er fuhr als blinder Passagier auf einem Zug, der Kondukteur hat ihn erwischt und ihn vom fahrenden Zug geworfen.«
    Das Geheimnis der Blutflecken und des Loches in der Hecke war nun kein Geheimnis mehr, und auch Miss Ellens ›Wunder‹ war jetzt klar; denn es war doch ein Wunder, daß dieser alte Wanderer gerade vor die Tür des Hauses geworfen wurde, das er vor dreißig Jahren verlassen hatte!
    Er legte den Alten auf das Sofa. Seine Augen waren geschlossen, und Oktober befürchtete schon, daß er tot sei.
    »Wo mag wohl das Dienstmädchen sein?« fragte Robin. »Paß du auf ihn auf, während ich sie suche.«
    In diesem Augenblick zwinkerten ›Kahlköpfchens‹ Augenlider, und er öffnete die Augen. Er blickte zu Robin auf und lächelte sanft.
    »Ich bedaure unendlich, Ihnen soviel Mühe zu machen, Sir. Meine Kenntnis der Medizin sagt mir, daß ich nur noch eine ganz kurze Spanne Zeit zu leben habe. Wäre es zuviel von Ihnen verlangt, wenn ich Sie bitten würde … Ich möchte so gern Julia Wiedersehen. Meine liebe Frau würde das schon verstehen … unter diesen Umständen. Julia wohnt im ›King-Edward-Hotel‹, Zimmer zwölf, wenn ich mich nicht irre - das heißt, ich bin beinahe sicher. Lady Georgina Loamer …«
    Über dem schwachen Körper trafen sich die Augen Robins und des Mädchens.
    »Elfrieda! Welch eine Frau!« flüsterte er.

12
    Lady Georgina Loamer lehnte bequem in einem Liegestuhl, eine Zigarette zwischen ihren stark geschminkten Lippen, und hielt ihre glänzenden Augen auf ihren Sohn gerichtet. Dieser fühlte sich mit Recht wenig glücklich, denn das Schweigen seiner Mutter versprach nichts Gutes. Ein dutzendmal nahm er sein Monokel aus dem Auge und polierte es und klemmte es wieder ein. Seine Finger klopften nervös auf die Lehne seines Stuhles, und sein mechanisches Lächeln war eigentlich nur eine Gesichtsverzerrung.
    Die Stadt war noch voll von Menschen, und die Hauptstraße war eine lange Reihe auf und nieder wogender Lichter. Die überlaute Zirkuskapelle war gerade unter dem Fenster vorbeigezogen und hatte eine Unterbrechung in ihre Unterhaltung gebracht, nebenbei eine willkommene Ruhepause für Mr. Loamer.
    »Was hast du denn eigentlich vor?« fragte sie. Wenn Lady Georgina Loamer mißgestimmt war, bekam ihre Stimme eine eigenartige Heiserkeit - jetzt war sie heiser.
    »Weiß ich nicht.« Er betrachtete aufmerksam sein Einglas. »Wahrscheinlich wird es das beste sein, ich fahre im Wagen nach Ogdensburg und hole diesen Narren zurück … Wirklich, Mutter, ich seh’ nicht ein, weshalb du mich auszanken willst! Ich habe mein Bestes getan. Ich habe nie gedacht, daß es leicht sein würde, Robin zu Fall zu bringen, und sagte dir das auch -«
    »Mir gleich, was du gesagt hast!« krächzte

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