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Nach Norden, Strolch

Nach Norden, Strolch

Titel: Nach Norden, Strolch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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doch ein Zuchthaus in Aylesbury - für Frauen! Hast du nie daran gedacht, daß das vielleicht ein angenehmer Aufenthalt an Stelle von Cannes wäre, Georgina? Ich war einmal da - eine endlose Reihe düster aussehender Frauen in Grau, die im Kreis gingen und zu Boden schauten. Die lebendigen Toten!«
    Lady Georgina schreckte nicht zurück; sie hob nachdenklich ihre Lorgnette und betrachtete ihn.
    »Ist das eine Drohung?«
    »Die Erwähnung einer Möglichkeit«, sagte er. »Ich weiß ja nicht. Ich habe mich noch nicht entschlossen. Ich bewundere dich selbstverständlich, Georgina. Dein Mut kann nicht genug gerühmt werden. Und es gibt für dich noch einen schmalen Ausweg - in New York: der enge Ausgang zu einem Dock, wo ein abfahrender Dampfer auf Gerechte und Ungerechte wartet. Schreib deine Schulden ab, Georgina, und verlasse dich auf meine wohlbekannte Großzügigkeit!«
    Sie ging auf ihre majestätische Art zur Tür.
    »Gute Nacht!« sagte sie.
    »Gute Nacht. Darf ich dich bitten, keinen Lärm zu machen - Doktor Evington ist sehr krank.«
    Sie drehte sich schnell um.
    »Evington … Doktor Evington? Was soll das heißen?«
    »Sehr krank«, murmelte er.
    Sie blickte im Wohnzimmer hin und her, ein verständnisloser Ausdruck lag auf ihrem Gesicht.
    »Hier?«
    »Er ist soeben aus der Hölle zurückgekehrt«, sagte Robin. »Dreißig Jahre Hölle - oder eher vierzig, wenn ich nicht irre. Stell dir das vor, Georgina! Über dreißig Jahre herumzustrolchen. Gefährliche Fahrten auf Eisenbahnwagendächern, Tod und Wahnsinn, gestoßen, geprügelt, eingesperrt, von Tor zu Tor bettelnd - und das alles, weil eine gewisse, damals sehr junge Dame die Befriedigung haben wollte, mit einem Professor der Anatomie zu flirten!«
    Er hatte ihr die Maske heruntergerissen: Sie hatte ihre Selbstbeherrschung verloren und sah erbärmlich alt aus.
    »Du lügst, Robin! Du hast diese dumme Skandalgeschichte irgendwo gehört …«
    »Warst du nie in diesem Haus?« Er sah an ihrem Gesichtsausdruck, daß sie es wohl gewesen war. »Erkennst du es nicht wieder?«
    »Einmal - nur einmal«, stieß sie hervor. »Ich kam -«
    »Die Dame, die dir die Tür aufmachte, ist seine Tochter, und du schuldest ihr ein ganzes Leben, Georgina. Die Mutter ist vor einigen Jahren gestorben.«
    »Wo ist er - ich will ihn sehen.«
    Robin war sprachlos. »Aber - du kannst ihn doch nicht sehen!«
    »Ich will ihn sehen!«
    Sie riß die Tür auf. Auf der anderen Seite des Vorplatzes sah sie das Licht vom Speisezimmer, aber bevor sie hinübergehen konnte, stand Miss Ellen schon im Türrahmen.
    »Sie sind seine Tochter - Marcus Evingtons Tochter?« und als Miss Ellen nickte: »Ich bin Georgina Loamer - Lady Georgina.«
    Miss Ellen streckte die Hand zur Wand, um sich aufrecht zu halten. Im schwachen Licht der kleinen Lampe sah Robin, wie sie noch blasser wurde. Oktober stand im Hintergrund.
    »Ich will Ihren Vater sehen … Ist es wahr, daß er hier ist?«
    »Ja.« Kaum, daß das Wort zu hören war.
    »Wollen Sie mich zu ihm führen?«
    Miss Ellen wandte sich ergeben zur Treppe und führte sie hinauf.
    »Warum will sie ihn sehen?« flüsterte Oktober.
    »Ich weiß es nicht - ich glaube, es ist besser; wenn ich auch hinaufgehe.«
    Er nahm auf der Treppe zwei Stufen auf einmal und sah, wie Lady Georgina in Dr. Evingtons Zimmer verschwand. Die Tür war offen. Der alte Mann lag auf dem Rücken und sah erstaunt seine Besucher an. Miss Ellen stand zitternd mit gefalteten Händen da - der Inbegriff der Geduld, der Resignation und des Fatalismus. In einer Ecke des Zimmers saß die alte Magd, ihr Strickzeug auf dem Schoß, und sah durch ihre stahlumränderte Brille unwillig den Eindringling an.
    »Aber das ist doch Julia!«
    Lady Georgina saß auf dem Bett, eine seiner Hände zwischen ihren beiden, und in ihren dunklen Augen war ein Ausdruck, wie ihn Robin noch nie bei ihr gesehen hatte.
    »Marky!«
    Nur das eine Wort mit heiserer, tränenerstickter Stimme. Robin fluchte leise vor sich hin … Das mußte doch ein Traum sein.
    »Aber Julia! Der alte ›O‹ lachte immer über meine, Visionen, und nun bist du hier, Geliebte. Ich wußte immer, daß du kommen würdest … Wir werden nach dem Westen fahren, Julia … Einen Frachter nach Chikago erwischen. Dann den Schnellzug, ’rauf aufs Dach … Ich kenne einen fabelhaften Platz, wo wir absteigen können: eine Garküche fast an jeder Straße … Heißer Kaffee, alles, was man will …«
    Er schloß die Augen und schien zu schlafen, aber

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