Nach Santiago - wohin sonst
hinterlassen. Jetzt denke ich schon wie mein Hund. (Das kommt davon, wenn man seit mittlerweile zwei Wochen 24 Stunden täglich zusammen durch dick und dünn geht, zur Zeit vor allem dünn.)
Am Canal du Midi entlang habe ich wieder — trotz des unfreundlichen Wetters — das Vergnügen, Gehen pur zu erleben. Ich bewundere das beeindruckende Bauwerk, das mit seinen unzähligen Schleusen — daher auch der Bedarf an Wasserzuläufen wie der Rigole — insgesamt 250 Höhenmeter überwindet. Vollkommen zu Recht wurde der Kanal vor einigen Jahren in das Verzeichnis des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen, ist er doch ein gelungenes und leider immer seltener werdendes Beispiel dafür, wie der Mensch in die Natur eingreifen kann und sie dadurch fast noch schöner macht.
Am Abend ist dann wieder ein Biwak fällig. Diesmal in einer Burgruine etwa 22 Kilometer vor Toulouse, auf einem Hügel gelegen, die total zerfallen und im Inneren schrecklich schmutzig ist... und alles andere als romantisch! Aber trocken und halbwegs windgeschützt, und das ist die Hauptsache. Eine alte Türe, die ich in der Ruine finde, auf vier Ziegelsteinen aufgebockt, dient mir als Bett, besser gesagt uns. Denn Ajiz kommt im Verlauf der äußerst unruhigen Nacht — der Wind pfeift und tobt um die alten Gemäuer, daß es nur so eine Freude ist — auch aufs „Bett“ und rollt sich zu meinen Füßen zusammen. Das tut er sonst nie, da muß er sich schon sehr vor den Geistern gefürchtet oder sehr gefroren haben, was ich mir aber kaum vorstellen kann. Das muß schon der Wind gewesen sein, der ihn die Nähe zu mir suchen ließ. Ich muß gestehen, daß es auch für mich ein angenehmes Gefühl ist, die Nähe zu einem lebenden Wesen und das Vertrauen, das es in mich setzt, zu spüren.
Donnerstag, 9. März Montgiscard — Colomiers
Toulouse
Die Kälte weckt mich sehr früh, draußen vor den Mauern der Burg Montgiscard wartet ein klarer, kalter Morgen auf mich. Nachdem ich kein Wasser mehr habe — weit und breit gibt es weder Brunnen noch Quelle oder Bach — , werden die Morgenwäsche und das Frühstück auf später verschoben. Ajiz kann Gott sei Dank aus den zahlreichen Pfützen trinken, die der gestrige Dauerregen hinterlassen hat. Meine Stimmung paßt sich dem Wetter an: heute ist sie prächtig! Kein Wunder, meine Laune reagiert auf den Sonnenschein wie ein lange eingesperrter Vogel auf den sich öffnenden Käfig.
Dafür sind die Wege, nach einer Woche strömenden Regens, in einem entsetzlichen Zustand. Der Boden ist sehr lehmhaltig, also entsprechend wasserundurchlässig und nach den ausgiebigen Regenfällen aufgeweicht und schlammig. Für uns bedeutet das ein zähes und mühsames Vorwärtskommen, mehr eine Schlammschlacht als normales Gehen. Ich versinke manchmal bis zu den Knöcheln im Schlamm, bei jedem Schritt muß ich die Saugkraft des Lehms überwinden, was sich anhört, als hätte ein riesiges Pferd Dauerblähungen. Ajiz versinkt bis zu den Satteltaschen — wahrscheinlich wirken sie als Schwimmflügel — in Dreck, Füße und Bauch sind nicht mehr in schönem Schwarzweiß, sondern gelb-braun verkrustet.
Deshalb gehe ich auch heute bald dazu über, mit Hilfe der Karte — ich bin lernfähig! — meine eigene Route zu bestimmen, mit zunehmender Sicherheit und Selbstverständlichkeit. Trotz aller Vorbehalte ist unter diesen Bedingungen Asphalt eindeutig vorzuziehen.
Auf der Straße komme ich schnell voran, und weil ich heute erstens so früh aufgestanden und zweitens ohne Morgenwäsche und Frühstück aufgebrochen bin, stehe ich schon um 13 Uhr vor den Toren von Toulouse, besser gesagt auf einem Hügel am Ostende der Stadt. Bald darauf sitze ich barfuß im Gras, im Gaskocher wird das Wasser (aus der Wasch- und Toilettenanlage des Parks) für den Kaffee heiß, und ich genieße die erste richtige Sonne seit einer Woche in vollen Zügen. Eine warme, meinen ganzen Körper wohlig durchflutende Frühlingssonne — die Welt ist wieder in Ordnung!
Ein Mann, offensichtlich ein Angestellter der Gemeinde, sieht mich, wie ich mein spätes und wohlverdientes Frühstück in der Sonne zu mir nehme. Wahrscheinlich erinnert ihn dies daran, daß auch er eine Pause verdient hat, jedenfalls stellt er sein Wägelchen und seinen Rechen ab, mit dem er den Park sauberhält, und setzt sich zu mir.
Er ist nicht sehr gesprächig, hört mir aber aufmerksam zu, wie ich ihm von meiner Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela erzähle. Ob ihm das überhaupt etwas
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