Nach Santiago - wohin sonst
er nur die Nase voll oder ist er etwa krank? Auf jeden Fall habe ich einen Teil seines Gepäcks in meinen Rucksack umgepackt, damit er es nicht so schwer hat.
Samstag, 25. März Monreal — Puente la Reina
Orientierung „nicht genügend “
Um noch am Vormittag (Stichwort „Poste Restante“) in Puente la Reina zu sein, breche ich schon vor sechs Uhr früh auf, draußen ist es noch dunkel. Ohne Bedauern verlasse ich das Dreckloch, das mir als Unterkunft gedient hat — zumindest muß ich niemanden aufwecken, um den Schlüssel zurückzugeben! Ich rechne mit fünf Stunden Weg. Da ich im Dunkeln keine Chance hätte, den Weg bzw. die Markierung zu finden, beschließe ich, bis zu einer Abzweigung die Straße zu benützen, die parallel zum Weg verläuft. Doch wieder einmal — aus Unachtsamkeit, ich schaue zuwenig auf die Karte — versäume ich die Abzweigung und gehe um einige Kilometer zu weit. Ich bin nur mehr zehn Kilometer von Pamplona, also in der vollkommen falschen Richtung, als ich meinen fatalen Irrtum bemerke und endlich von der alptraumartigen Nationalstraße abbiege. Und ich muß natürlich einen riesigen Umweg machen, um wieder auf den richtigen Weg zu gelangen. (Wieder so eine Lehre, die sich ohne weiteres auf das Leben anwenden läßt!)
Das Gehen am Straßenrand, in der Dunkelheit, andauernd geblendet von den Scheinwerfern der entgegenkommenden Autos — und es sind sehr viele, die Pamploner fahren übers Wochenende zum Schifahren in die Pyrenäen — gehört zu den schlimmsten Erfahrungen bisher. Während ich so vor mich hin stapfe — mittlerweile trage ich die Satteltaschen von Ajiz — , mache ich mir, angeregt durch diese schier endlose Lichterkette, die an mir vorbeirast, Gedanken über unsere „Lemming-Kultur“, der ich ja auch angehöre. Müssen wir wirklich jedes Wochenende und an jedem zusätzlichen freien Tag ins Auto steigen — zu Tausenden und Abertausenden — und so weit wie möglich wegfahren? Wovor laufen wir davon?
Diese eher düsteren Gedanken, die Dunkelheit und sicher auch die Sorge um Ajiz, der tatsächlich krank zu sein scheint, mögen erklären, warum ich an der richtigen Abzweigung vorbeigegangen bin. Aber nichtsdestotrotz ärgere ich mich sehr über mich selbst. Jetzt bin ich schon fast tausend Kilometer unterwegs und mache immer noch denselben Fehler!
Ajiz geht es immer schlechter. Er beginnt, Gras zu fressen — verdorbener Magen? — und jedesmal, wenn ich stehenbleibe, legt er sich hin und will nicht mehr aufstehen. Es ist jetzt beschlossene Sache, in Puente la Reina wird bis Montag Pause gemacht, egal, ob ich das Postamt offen oder geschlossen vorfinde!
Natürlich ist es zu, die ganze Hetzerei der letzten zwei Tage war für die Katz’ und hat vielleicht sogar dem Hund geschadet. Der Ruhetag — es ist ohnehin erst der zweite — wird sicher auch mir guttun. Hoffentlich geht es Ajiz bald wieder besser. Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Bei meinen Freunden Peggy und Miguel warten, bis er gesund ist? Ajiz bei ihnen lassen und alleine weitergehen? Oder überhaupt abbrechen? Daran will ich gar nicht denken! Wir werden sehen...
Puente la Reina ist der Punkt, wo die zwei Pilgerwege, die von den Pyrenäen herunterkommen, zusammentreffen. Die Königin ließ im 11. Jahrhundert eine Brücke über den Fluß Arga errichten, um den Pilgern die schwierige und manchmal sogar gefährliche Flußdurchquerung zu ersparen. Daher der Name des Ortes. Die Brücke wird heute noch von den Pilgern benützt und gehört zweifellos zu den meistphotographierten Brücken des Jakobsweges.
Die Herberge wird vom „Seminario del Espiritu Santo“ betreut. Tatsächlich sind es die Schüler, die mich mit großem Eifer ins Pilgerbuch eintragen (ich sehe, daß ich in diesem Jahr — 1995 — der 98. Pilger bin, der hier übernachtet), mir den Schlüssel für die Herberge geben und mich einweisen. Heute bin ich der erste, im Schlafsaal stehen mir 30 Betten zur Auswahl. Es gibt einen Waschraum mit Duschen, Küche mit Herd und Kühlschrank (verdreckt) und einen Aufenthaltsraum mit offenem Kamin. Nachdem auch Ajiz mit großer Begeisterung aufgenommen wird — natürlich darf er im Refugio schlafen — , wird meine Stimmung erheblich besser, sogar Optimismus macht sich wieder breit.
Am Nachmittag kommt eine Gruppe von zehn spanischen „Wochenendpilgern“ an. Sie haben eine ganz spezielle Art, den Jakobsweg zu begehen. Jedes Wochenende gehen sie zwei Etappen, so lange, bis sie in Santiago
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