Nach Santiago - wohin sonst
die Brasilianer auch bald einholen! Von ihm bekomme ich den Rat, meinen erzwungenen Aufenthalt in Puente la Reina als Teil meines Jakobsweges und nicht als verlorene Zeit zu betrachten. Er hat recht!
Mittwoch, 29. März
Ruhetag IV
Ajiz ist auf dem Weg der Besserung — endlich eine gute Nachricht! Anscheinend spricht er auf das Antibiotikum an. Und fast bin ich sicher, daß ihm auch die Fürbitten der Seminaristen helfen, welche sie ihm gestern bei der Abendandacht gewidmet haben. Das haben sie mir heute früh erzählt. Wieder bin ich zutiefst berührt!
Jetzt muß ich nur noch Geduld aufbringen und Ajiz’ endgültige Heilung abwarten. Und ja nicht zu früh aufbrechen und ihn dadurch einem großen Risiko aussetzen!
Am Nachmittag ist ein junges Paar aus Deutschland angekommen, sie sind vor vier Tagen von St. Jean-Pied-de-Port aufgebrochen. Fast komme ich mir schon wie der Hüttenwart des Refugio vor. Ein alter Hase, der auf der Strecke hängengeblieben ist. Das ist ja im Mittelalter wirklich vorgekommen, und gar nicht zu selten.
Donnerstag, 30. März
Ruhetag V
Ich habe mich offensichtlich zu früh gefreut. Am Morgen machte Ajiz noch einen sehr guten Eindruck, was mich so optimistisch stimmte, daß ich beschloß, mit ihm am Nachmittag einen Spaziergang nach Eunate zu machen. Sozusagen als Fitneßtest. Ich brenne vor Ungeduld und Langeweile!
Als ich letzte Woche (!) am Samstag angekommen bin, habe ich diesen magischen Ort, etwa drei Kilometer vor Puente la Reina, nur kurz gestreift, ich wollte ja rechtzeitig beim Postamt sein. (Rückblickend muß ich mir eingestehen, daß ich ein ziemliches Arschloch war!)
Eunate zählt für mich zu den Plätzen am Jakobsweg mit der größten Ausstrahlung. Eine achteckige romanische Kirche, höchstwahrscheinlich errichtet von den Rittern des Templerordens, mitten in der Landschaft gelegen. Sie gehört zu keiner Ortschaft, vermutlich war es die Kirche eines Pilgerhospizes mit Friedhof, von dem man Reste hinter der Kirche entdeckt hat. Es ist ein Ort, der zum Verweilen, Schweigen und Besinnen einlädt. Ich bin froh, daß ich noch einmal hergekommen bin...
Mit Ajiz ging alles gut, er hatte wieder Freude am Gehen, aber am Abend zitterte er am ganzen Leib und begann stark zu hinken. Es geht ihm schlechter als in der Früh. War der kleine Spaziergang etwa schon zuviel für ihn? Oder hat ihm der Wechsel des Antibiotikums geschadet? Ich habe gelernt, ihm die Spritze zu geben, für den Fall, daß einmal keine Fachkraft zur Verfügung steht. Habe ich da etwas falsch gemacht?
Sollte es Ajiz bis Samstag nicht besser gehen, fährt uns Andres nach Estella — sollte eigentlich unsere nächste Etappe sein... Dort gibt es eine Tierklinik mit Laboratorium, in der eine genaue Diagnose erstellt werden kann.
Freitag, 31. März
Die Lehren des Don Juan
Heute ist der siebte Tag meines Aufenthalts in Puente la Reina, die Zeit wird mir sehr lang! Was es in Puente zu besichtigen gibt, habe ich besichtigt: das alte Hospiz, heute das Seminar, das durch einen Bogen mit der Kruzifix-Kirche aus dem 12. und 14. Jahrhundert verbunden ist. Die Kirche hat ihren Namen vom großen Kreuz in der eigenartigen und seltenen Y-Form. Auch die Hauptstraße mit der Jakobskirche im Zentrum und natürlich die Brücke, von der die Stadt den Namen hat, kenne ich mittlerweile bestens.
Die Ankunft von Pilgern am Nachmittag bringt Leben in das Refugio, ebenso wie die regelmäßigen Besuche meiner Freunde, der Seminaristen. Meistens kommen sie in der Mittagspause und nach dem Abendessen (von dem sie mir immer etwas mitbringen), dann sitzen sie mit mir am großen Tisch im Aufenthaltsraum, löchern mich mit Fragen über Gott und die Welt, über Österreich, meine Reisen, mein Leben, streicheln Ajiz gesund und rauchen wie die Schlote. Denn im Seminar herrscht absolutes Rauchverbot!
Aber abgesehen davon, was kann ich hier schon groß unternehmen? Gehen hat die letzten 40 (!) Tage ausgefüllt, und jetzt — ich will es ja gar nicht! — das Nichtstun, die Leere, die Ungeduld, und manchmal sogar die Verzweiflung. Da fällt mir der berühmte „Don Juan“ ein. Nicht der von Mozart, sondern der von Carlos Castañeda, einem Kultbuchautor der siebziger Jahre. Jener Yaqui-Schamane in der Wüste Nordmexicos. Und ich stelle mir vor, ich sei sein Schüler, der bestimmte Prüfungen auf dem Weg zu seinem eigenen Ich bestehen muß.
Ich bin also bei Don Juan, und er gibt mir ein Ziel vor, das ich in einer bestimmten Zeit erreichen
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