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Nach Santiago - wohin sonst

Nach Santiago - wohin sonst

Titel: Nach Santiago - wohin sonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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drei Brasilianer hier übernachtet haben. Ich bin also doch nicht alleine unterwegs. Vielleicht lerne ich sie noch kennen...

    Mittwoch, 22. März Jaca — Artieda

Don Jorge

    Auch die heutige Etappe ist lang, etwa 40 Kilometer. Später, ab Puente la Reina, sollen die Abstände zwischen den Herbergen kleiner werden. Da stoßen die Pilger hinzu, die von Roncesvalles in den Pyrenäen kommen, einer viel mehr frequentierten Strecke, und der Abstand zwischen den Pilgerherbergen beträgt dann im Schnitt 20 bis 25 Kilometer. Aber nach einem Monat ununterbrochenen Gehens bin ich ohnehin in Topform, und so ungelegen kommt mir die lange Etappe gar nicht, weil ich bis Samstag mittag , also in vier Tagen, in Puente la Reina sein will. Ich möchte eventuell vorhandene postlagernde Briefe vor dem Wochenende abholen, weil ich hoffe, daß ein Brief von Peggy und Miguel dabei ist.
    Ich kenne die beiden aus meiner Zeit als Entwicklungshelfer in Mexiko, seither verbindet uns eine tiefe und lebendige Freundschaft. Sie leben in Vitoria im Baskenland und würden mich gerne ein Wochenende auf dem Jakobsweg begleiten. Das würde mir gefallen - einmal wieder in Begleitung zu gehen, noch dazu von so lieben Leuten! Und da ich weiß, daß die Postämter in Spanien an Samstagen um 12 Uhr 30 zusperren, habe ich mir - zum ersten Mal seit meinem Aufbruch - einen Termin gesetzt. Ich hoffe, meine „Pilgerqualität“ leidet nicht allzusehr unter diesem Widerspruch. Ab Puente la Reina, wenn noch dazu die tägliche Weg- und Herbergssuche wegfällt, das verspreche ich mir und Ajiz hoch und heilig, nehme ich das Gas zurück und werde es gemütlicher angehen.
    Die Etappe wird tatsächlich sehr lang, mit einigen Asphaltkilometern am Vormittag und Staubstraßen am Nachmittag. Aber ich genieße das freie, unbeschwerte Gehen durch die karge, fast wüstenartige, menschenleere aragonesische Landschaft. Der Weg ist sehr gut markiert. Knapp vor der Mittagspause passiert es: ein falscher Tritt am Straßenrand — die Asphaltdecke liegt ca. 15 Zentimeter höher als das Schotterbankett — und ich verstauche mir den Knöchel. Wie schnell das geht! Aber es scheint nicht schlimm zu sein, nur muß ich vorsichtig und sorgfältig auftreten. Es wird sicher ein paar Tage dauern, bis der Fuß wieder heil ist. Über den Stock bin ich jetzt heilfroh! Die Mittagsrast an einem kleinen Bach, inklusive Siesta, kommt da gerade richtig. Das Wetter ist prächtig, am Nachmittag fast schon sommerlich heiß.
    Etwa eine Stunde vor meiner geplanten Ankunft in Artieda treffe ich Don Jorge, einen sehr netten Bauern (und pensionierten Lehrer), der mich, wie alle vorbeikommenden Pilger, einlädt, bei ihm einzukehren. Auf eine Jause, ein Bier, einen Kaffee, je nach Lust und Tageszeit. Ich möchte zwar ankommen, das Gehen mit dem wehen Fuß ist doch anstrengend, aber diese von Herzen kommende Einladung kann und will ich nicht ausschlagen. Das macht den Weg ja so schön und spannend! Leute wie er oder die Phiquepals, die von sich aus, ohne Auftrag und ohne Lohn, die Tradition des Jakobsweges pflegen, machen diese erst richtig lebendig. Zum ersten Mal frage ich mich, ob diese archaisch-schöne Art der Gastfreundschaft auch in Österreich möglich wäre. Versuchen könnte ich es ja...
    Von Don Jorge bekomme ich noch einen Stempel in meinen Pilgerpaß, im Gegenzug trage ich mich in sein Pilgerbuch ein, und dann lege ich die letzten Kilometer bis Artieda zurück. Es ist ein wunderschönes Dorf, sowohl die Häuser als auch die Gassen ganz in Stein, auf der Spitze eines Hügels gelegen und mit einem beinahe luxuriösen Albergue de Peregrinos! Fünf Zimmer mit je vier Betten, neu und sauber, mit einem Balkon mit Blick hinunter in die Ebene.
    Immer noch bin ich alleine, aber wahrscheinlich wird es nicht mehr lange dauern, bis meine vierwöchige Einsamkeit zu Ende geht. Die drei Brasilianer, die in Jaca eingestiegen sind, haben im Albergue eine Spur, ich müßte eher sagen, ein Geschenk, für mich hinterlassen. Es ist eine halbe Flasche „Ron Añejo“ aus Venezuela, die sie zurückgelassen oder vergessen haben. Er muß von ihnen sein, wie kommt denn sonst eine Flasche venezolanischen Rums, noch mit dem Duty-free-Etikett versehen, in eine aragonesische Herberge? Wie auch immer, ein gutes Stamperl beschließt diesen rundum geglückten Tag, wenn ich vom verstauchten Knöchel absehe. Der ausgezeichnete Rum, den ich auf dem Balkon der Pilgerherberge „verkoste“, animiert mich zu einer kurzen

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