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Nach Santiago - wohin sonst

Nach Santiago - wohin sonst

Titel: Nach Santiago - wohin sonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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zu bereisen und vor allem das Gebiet westlich des Rhonetals, eben das Languedoc, zu erforschen, wo ich noch nie vorher gewesen war.
    Eines Nachmittags nahm mich am Ortsausgang von Ganges ein Medizinstudent aus Montpellier in seinem 2CV mit, der zu einem großen Fest auf den Larzac unterwegs war. Larzac sagte mir etwas, dort tobte seit Jahren eine heftige Auseinandersetzung zwischen einer Volksbewegung und der französischen Regierung, die auf dem karstigen Plateau Hunderte von Bauern, in ihrer Mehrzahl Schafzüchter, enteignen wollte, um auf dem „menschenleeren und ökonomisch uninteressanten“ Plateau ein riesiges militärisches Übungsgelände zu errichten.
    Das interessierte mich sehr, also nahm ich das Angebot von Olivier, mich bis auf das Plateau mitzunehmen, gerne an, trotz seiner Warnung, ich würde in dieser gottverlassenen Gegend am späten Nachmittag sicher kein Auto mehr finden, das mich weiter mitnehme. Das wollte ich auch gar nicht, die Gelegenheit, den Larzac kennenzulernen, war mir zu verlockend. Ich hatte in Ganges Proviant eingekauft, im Tramperrucksack war mein Zelt — ich war für alles gerüstet. Nein, nicht alles. Daß ich heute, mehr als 25 Jahre später, immer noch zum Freundeskreis von „Le Coulet“ gehöre, konnte ich mir damals, als ich unter strömendem Regen mein Zelt aufschlug, nicht vorstellen.
    Aus der Einladung, einen Kaffee zu trinken und meine vom Platzregen klatschnassen Glieder etwas aufzuwärmen, wurde zunächst eine Einladung zum Fest, am darauffolgenden — verkaterten — Morgen die Einladung, noch länger zu bleiben und beim Bau eines offenen Kamins mitzuhelfen, und wenig später die Frage, ob ich nicht Lust hätte, bei der bald beginnenden Weinernte mitzuarbeiten.
    Schon im Verlauf des Festes — ich kann mich an neun (!) Gänge erinnern, alle begleitet vom herben und fruchtigen Landwein der Gegend — wurde mir klar, daß das, was ich in Longo Mai erwartet, aber nicht gefunden hatte, vor mir saß. Menschen, die das Leben liebten, denen die Welt aber dennoch nicht wurscht war. Menschen, die sich politisch engagierten, die aber dennoch das Leben liebten. Menschen aus allen Bevölkerungsschichten, aus unterschiedlichen Berufen — Weinbauern, Schafzüchter, Universitätsprofessoren, Studenten, Erwachsenenbildner, Politiker — und aller Altersstufen. Alle natürlich Feuer und Flamme für den Kampf gegen die Enteignungspläne der Regierung und aktiv in der Volksbewegung engagiert.
    Aus der ersten Weinernte sind acht geworden, aus der ersten Nacht im Zelt auf dem Larzac-Plateau sind unzählige Nächte bei meinen Freunden in Montpellier und St. Jean de la Blaquière geworden. Heute werde ich im Kreis der Männer, die sich täglich, mit der Baguette unter dem Arm, vor dem Abendessen unter der Platane auf dem Dorfplatz von St. Jean versammeln, fast als Einheimischer aufgenommen. Aus den kleinen Buben von 1974 sind erwachsene Männer geworden, mit denen ich so vertraut bin, wie es eben unter alten Freunden üblich ist.

7. Kapitel

La Meseta

Mittwoch, 12. April Burgos — Castrojeriz

Der Camino hat mich wieder

    Nach einer Busfahrt von Vitoria nach Burgos reihe ich mich — endlich! — wieder in den Camino ein. Es ist schon elf Uhr vormittags und ich gebe gleich kräftig Gas, wenn man beim Gehen überhaupt von Gasgeben sprechen kann. Ich habe unbändige Lust, nach Santiago zu kommen, und Ajiz will ich so kurz wie möglich alleine lassen.
    An diesem wunderbaren Frühlingstag dauert es nicht lange, bis ich wieder im vertrauten Rhythmus bin — Arme, Stock und Beine bewegen sich gleichmäßig und gut aufeinander abgestimmt, auch die Atmung paßt sich der Bewegung an. Sollten heute Pilger von Burgos aufgebrochen sein, sind sie weit vor mir, ich habe die „meseta“, die Hochebene von Kastilien, ganz für mich alleine. Es ist ein wunderbares Gehen.
    Der Weg — es ist seit Jahrhunderten unverändert der gleiche — liegt klar vor mir und führt schnurgerade nach Westen, hinein in den unendlich scheinenden Horizont, der durch keinen Baum und keinen Hügel begrenzt wird. Keine nennenswerten Steigungen sind zu überwinden, keine Pkws, Lastwagen oder Busse bedrohen mich, der Weg führt weitab von allen Straßen durch Felder, die jetzt im Frühling mit einem zarten Grün bedeckt sind.
    Die Meseta ist unter den Pilgern gefürchtet. Im Sommer herrscht glühende, schattenlose Hitze, im Winter bittere, beißende Kälte, begleitet und verstärkt durch einen bis zu den Knochen

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