Nach zwei Tagen Regen folgt Montag
jedoch nicht beeindrucken. Sie hatten fünf Jahre zuvor ihre Mission begonnen, Warnsignale für starke Erdstöße zu finden. Im Morgengrauen des 18. April 1906 war die San-Andreas-Erdspalte in Kalifornien mit einem Schlag aufgerissen. Bei dem Beben starben in San Francisco mindestens 3000 Menschen. Die Katastrophe war die Geburtsstunde der modernen Seismologie.
Rasch gab es bedeutende Fortschritte zu bejubeln: 1910 erkannte der Geologe Harry Reid, dass Erdbeben in Rhythmen auftreten. Er vermutete, dass sich in der Erdkruste Spannungen aufbauen, die sich schließlich bei einem Beben entladen; je länger die Ruhephasen, desto stärker die Erdstöße. Nach dieser wesentlichen Erkenntnis schien eigentlich nur noch die Frage geklärt werden zu müssen, wie sich große Spannung messen ließ. 1935 schien die Antwort ganz nah, die Seismologen feierten ihren ersten Helden: Der 31-jährige Geophysiker Reuben Greenspan glaubte, er habe anhand des Standes von Mond und Sonne mehrere Beben vorhergesagt, darunter ein Beben in Indien mit 56.000 Toten. »Die Opfer tun mir natürlich leid«, sagte seine Frau Miriam. »Wenn die Leute doch nur auf meinen Reuben hören würden!« Doch Vollmond um Vollmond verging, ohne dass sich weitere starke Beben ereigneten, und um die gefeierte Theorie von Reuben Greenspan wurde es still – wie um die gesamte Erdbebenvorhersage.
Erst in den 1960er-Jahren schöpften die Forscher neue Hoffnung. Die Theorie der Plattentektonik beflügelte die Fachwelt. Ein geschlossenes Mosaik von Gesteinsblöcken ruckelt demnach über die Erdoberfläche, an den Grenzen der Platten bauen sich Spannungen auf. Endlich gab es eine schlüssige Erklärung für Erdbeben, in der Forschergemeinde herrschte Euphorie. 1971 riefen sowjetische Forscher auf einer internationalen Tagung in Moskau ihren Kollegen zu, sie hätten das Ziel erreicht; sie wüssten, welche Signale Beben ankündigten. Ihre These: Vor einem Erdstoß verändern sich die Geschwindigkeiten von Schwingungen in der Erde auf charakteristische Weise. Tagungsteilnehmer aus den USA überprüften die Angaben, bestätigten sie – und lieferten die Ursache der Signale nach: Vor einem Beben öffneten sich kleine Risse im Gestein, auch der elektrische Widerstand veränderte sich.
Nun häuften sich die Erfolgsmeldungen, vor allem von der San-Andreas-Erdspalte. »Ich konnte die Wellen spüren, und sie machten mich glücklich!«, jubilierte ein Seismologe, nachdem seine Prognose angeblich eingetroffen war. Am 27. November 1974 wurden Hunderte Geoforscher auf einer Tagung im California ’s Pick and Hammer Club Zeuge, »wie Geschichte geschrieben wird«, berichtete das Magazin Time . Der Seismologe Malcolm Johnston prophezeite anhand seiner Daten von der San-Andreas-Erdspalte ein heftiges Beben für die Gegend um Hollister, »vielleicht schon morgen«. Tatsächlich bebte es dort am folgenden Nachmittag mit der Stärke 5,2. Der Treffer gab den Wissenschaftlern weiter Auftrieb.
Am fortschrittlichsten waren die Chinesen, wie eine Forscherdelegation aus den USA im Oktober 1974 staunend feststellte. Am 4. Februar 1975 schien sich diese Einschätzung auf dramatische Weise zu bestätigen, als ein gewaltiges Beben die Region um die Stadt Haicheng erschütterte. Zehntausende waren tags zuvor zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert worden – was ihnen das Leben gerettet hatte. Es war ein grandioser Triumph der Seismologie, so schien es (die Gründe für den Erfolg erzählt das folgende Kapitel), Haicheng galt als endgültiger wissenschaftlicher Durchbruch. »Erdbebenvorhersage ist jetzt eine Tatsache«, resümierte die US-Wissenschaftsbehörde, die National Academy of Science. Die Prognoseforschung genieße fortan »höchste Priorität«. Eine gewaltige Fördergeld-Schwemme führte dazu, dass »alles gemessen wurde, was uns einfiel, von Kakerlaken bis zu Hormonen«, erinnert sich ein Forscher. Schon wurde intensiv der nächste technologische Schritt diskutiert: Die Verhinderung von Erbeben mittels Bohrungen und Wasser.
Doch die Freude verging bald. Von den Wissenschaftlern wurden nun dramatische Entscheidungen erwartet: Soll eine Stadt aufgrund vermeintlicher Warnsignale evakuiert werden? Angesichts solcher Konsequenzen erschienen die Alarmzeichen nun nicht mehr so eindeutig. Bei genauem Hinsehen erwiesen sich vorige Prognoseerfolge als zufällig; der Rausch war verflogen.
Der Triumph von Haicheng blieb ein Einzelfall. Nur ein Jahr später kamen bei einem Beben im chinesischen
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