Nach zwei Tagen Regen folgt Montag
gesamte Nordhalbkugel für die vergangenen 1000 Jahre – unstrittig eine große Leistung. Wegen ihrer Form wird sie auch »Hockeyschläger-Kurve« genannt. 850 Jahre lang schwankte das Klima demnach kaum (Schaft des Schlägers), dann wurde es rasant wärmer (Fuß des Schlägers). Mit den Jahren zeigte sich aber, dass die Kurve Fehler enthielt. 1999 gab es eine zweite Klimakurve, geschaffen von den britischen Forschern Keith Briffa und dem bereits genannten Phil Jones, der das Climatic Research Unit ( CRU ) an der Universität von East Anglia leitet. Der Streit zwischen den beiden Gruppen entzündete sich daran, welche Kurve ganz vorn im UNO -Klimareport von 2001 veröffentlicht werden sollte, in der Zusammenfassung für Politiker. Für den Hockeyschläger sprach seine überzeugende Gestalt: Der einzigartige Temperaturanstieg in den vergangenen 150 Jahren schien den Einfluss des Menschen auf das Klima klar zu belegen. Briffa aber warnte vor einer Überschätzung des Hockeyschlägers. Manns Kurve solle nicht »als die korrekte« gesehen werden – auch wenn sie helfe, »eine hübsche glatte Geschichte zu erzählen«, schrieb er im September 1999 an seine Kollegen. Seine Kurve hingegen zeigte eine Warmphase im Hochmittelalter. »Ich glaube, dass die derzeitigen Temperaturen wahrscheinlich jenen von vor 1000 Jahren ähneln.« Es kam zum Streit, der jedoch bald geschlichtet wurde, als es galt, einem gemeinsamen Gegner Paroli zu bieten: Klimaskeptiker nutzten Briffas Kurve, um den Einfluss des Menschen auf das Klima abzustreiten. Ihr Argument: Wenn es im Mittelalter ohne Abgase so warm war wie heute, könne der Kohlendioxidausstoß des Menschen mit dem Anstieg der Temperaturen nichts zu tun haben. »Denen möchte ich kein Futter geben«, schrieb Mann an seine Kollegen. Er hatte Erfolg: Sein Hockeyschläger landete vorn im UNO -Klimabericht von 2001, die Kurve wurde gar zum Aushängeschild des Reports.
Um eindeutige Kurven zu erhalten, mussten die Forscher freilich ein wenig nachhelfen. In der wohl bekanntesten E-Mail des »Climategate« schrieb Phil Jones, er habe Manns »Trick« angewandt, um die »Temperaturabnahme zu verstecken«. Die Originalformulierung to hide the decline wurde sogar zum Refrain eines Liedes über den Skandal – und sie wurde von republikanischen Politikern in den USA weidlich zitiert, um die Klimaforschung zu diskreditieren. Doch was nach Betrug klingt, erweist sich als Notlösung: Baumringdaten zeigen seit Mitte des 20. Jahrhunderts keine Erwärmung mehr – und stehen damit im Widerspruch zu den Temperaturmessungen. Diese offensichtlich falschen Baumdaten wurden mit dem umgangssprachlichen »Trick« aus Temperaturkurven getilgt. Das Baumring-Problem ist damit freilich nicht gelöst, Paläoklimatologen versuchen zu klären, warum gemessene Temperaturen und Baumdaten auseinanderlaufen.
Der Streit spitzte sich mit den Jahren zu, wie der E-Mail-Verkehr zwischen den Forschern zeigt. Seit Ende der 1990er-Jahre baten mehrere Klimaskeptiker Jones und Mann regelmäßig um ihre Baumringdaten und Rechenmodelle. Sie konnten sich dabei auf die gesetzliche Freiheit wissenschaftlicher Daten berufen. Tatsächlich konnten die beiden zunächst fachfremden Wissenschaftler Stephen McIntyre und Ross McKitrick mit den Daten bald systematische Fehler in der Hockeyschläger-Kurve nachweisen. Für Michael Mann gehörte die Kritik zu einer »gut abgestimmten Kampagne«, wie er am 30. September 2009 in einer E-Mail resümierte. Zunehmend verweigerten er und seine Kollegen die Herausgabe von Daten an »die Gegner«, wie skeptische Forscher in den E-Mails häufig genannt wurden. Er würde Daten »lieber löschen«, als sie herauszugeben, schrieb Jones am 2. Februar 2005 in einer E-Mail. Später verteidigte Mann sich: Seine Universität habe die E-Mails untersucht und festgestellt, dass er zu keinem Zeitpunkt Daten unterdrückt habe. Ein Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments jedoch kam zu einem etwas anderen Urteil: Der Schriftverkehr zeige eine »unverblümte Ablehnung, Daten mit anderen zu teilen«. Soziologen glauben, dass der Schaden irreparabel sein könnte: »Glaubwürdigkeitsverlust ist das zentrale Kommunikationsrisiko der Wissenschaft«, sagt der Soziologe Peter Weingart. Nur mit kompromissloser Transparenz lasse sich das Vertrauen zurückgewinnen.
Das Lagerdenken unter den Forschern wurde immer feindseliger. Sie debattierten darüber, wem vertraut werden könne, wer zum eigenen »Team« gehöre –
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