Nachdenken ueber Christa T.
nicht beachtet, er wollte zuerst wissen, ob es stimme. – Es wird schon stimmen, sagte sie, wenn es Sie so böse macht. Was ist es denn?
Sie gehen von uns weg, sagte er.
Wenn Sie’s so nennen wollen, sagte Christa T., das stimmt.
Warum? wird er gefragt haben. Haben wir Sie gekränkt?
Da muß sie gelacht haben. Und als er auf seinem Warum besteht, was kann sie ihm antworten als eine Gegenfrage: Das sollte ihn wirklich interessieren? Sie weiß, so macht man es, und sie will es auch einmal so gemacht haben, will, ihren Blick in seinem, die paar Schritte den Zaun entlanggegangen sein bis zur Pforte, will in Gedanken den Riegel zurückschieben und nun also neben ihm auf dem Weg stehen, der um das Dorf herumführt, will spüren, daß man ihm etwas über die Schulter reicht, ein gutes Maß. Und solange man noch mißt, kann einem nichts passieren.
Und Sie? sagt Christa T., damit doch etwas geredet wird. Sie wollen nicht weggehen? Wenigstens in den Ferien?
Ich? Hier weg? Aber nein.
Sie seufzt. Das ist mal einer, der weiß, was er will. Zwischen zwei Häusern biegen sie ab auf den Feldweg. Ginster links und rechts, schon verblüht. Jasminhecken,über denen sich, ein bißchen mühsam schon, vom Sinken bedroht oder verlockt, die Sonne noch hält. Das gäbe, denkt Christa T., ein schönes Bild in Öl, aber merken läßt sie ihn ihre Spottlust nicht, tiefernst, wie er ist. – Er habe sich also schon eingelebt?
Vollständig, erwidert er. Für immer, denk ich mir. Warum lachen Sie? Es gibt Gründe.
Ich zweifle nicht.
Jetzt machen Sie sich über mich lustig.
Das war, mein Lieber, der erste Augenblick, wo ich mich nicht lustig machte, aber gemerkt hast du’s nicht. Sie hat gehört, wie er »für immer« sagte, ein winziger Stich, schon vorbei. Aus uns wird nichts, es soll nicht sein.
Sie wissen doch selbst, sagt er. Die Schule. Entwicklungsfähig, gewiß. Aber ganz und gar auf meinen Schultern, bis zum Schulgarten hin, ob Sie’s glauben oder nicht.
Ich glaub’s, sagt Christa T. Faßt ihn noch einmal ins Auge. Der neue junge Schulleiter vom Nachbardorf.
Blau steht Ihnen, sagt sie. – So macht man’s, ganz recht, sagt es in ihr, aber nun bringt sie die Stimme zum Schweigen.
Blau! ruft er ganz verzweifelt. Das alte Hemd! Hätt ich gewußt, ich hätte mich vollständig anders ...
Vollständig ist Ihr Lieblingswort? fragt Christa T.
Solche Sachen fragen nur Sie, sagt er, still erbittert. Ich hab schon gemerkt: Es gefällt Ihnen nicht, wenn etwas vollständig richtig oder vollständig in Ordnung ist.
Da irren Sie, sagt sie ernsthaft. Wie es mir gefallen würde, wenn ich es irgendwo anträfe! Aber wo wollen Sie das an mir gemerkt haben?
Ach, sagt er mutlos. Oft. Wenn der Schulrat redet zum Beispiel. Sie lachen nie, nein, das nicht. Aber ich sehe: Sie zweifeln.
Nicht immer, sagt sie. So genau Sie hingesehen haben: Ich vergleiche. Ich vergleiche die Rede des Schulrats mit meiner Schule.
Sehen Sie, sagt er heftig. Und ich vergleiche seine Rede mit meinem Traum von meiner Schule.
Komisch, erwidert sie. An Ihnen gefällt mir das. Sie horcht in sich hinein: Keine Stimme? Nein, nichts.
Jetzt ist die Sonne in die Hecken gefallen. Fehlt bloß noch, daß sie quer über eine Wiese laufen und das ausgebreitete Heu duftet. Also gut, sie laufen, und das Heu duftet, das haben wir ja alles in der Hand. Jetzt soll sie ihn nach den Pappeln fragen: Ob er je auf Pappeln gestiegen ist. – O doch, bei ihm zu Hause ...
Ich habe mich falsch ausgedrückt. Sie haben nie ein Elsternnest ausgehoben? Sie haben nie die nackten jungen Vögel gegen die Scheunenwand geworfen?
Ehrlich gesagt, erwidert er verlegen, das hab ich nie gekonnt. Ich bin darin komisch, wissen Sie.
Und Menschen?
Was meinen Sie, wird er wohl fragen, aber er wird wissen, was sie meint. Drei Jahre nach dem Krieg weiß man, was mit solchen Fragen gemeint ist.
Sie waren Soldat, wird sie sich erklärt haben.
Ich hab Glück gehabt, sagt er. Nach einer Weile setzt er hinzu: Ich hab manchmal gedacht, daß ein Mädchen mich mal danach fragen wird.
Sie sitzen jetzt am Wiesenrand, und Christa T., die vergessen hat, wie man es macht, fängt an, sich zu wundern: So ist das alles, mag sie gedacht haben, Schrittfür Schritt und Stück für Stück vorgesehen, und ich gebe zu, es ist beruhigend, wenn das erste Mal nichts Unvorhersehbares passiert.
Nun ist es geschehen, erinnert sie ihn: Ein Mädchen hat dich danach gefragt.
Tatsächlich, sagt er, beinah traurig. Und ich hätte
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