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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Pädagogikprofessor, der gipfelte in der Frage: Was tut eine jungeLehrerin, Herr Professor, wenn in ihrer Gegenwart einen ihrer fast erwachsenen Schüler das Gelüst ankommt, einer gemeinen Feldkröte den Kopf abzubeißen?
    Nun nehme ich die ganze Geschichte ruhigen Gewissens von ihr selbst, denn sie ist ja festgehalten, auf zwölf Blättern, und es spielt gar keine Rolle, ob sie sich genau so zugetragen hat oder nicht. Beginnen wir, wie sie, mit dem letzten Abend vor der Abreise ihrer Klasse aus dem Dorf. Die Kartoffeln sind fast abgeerntet. Beginnen wir mit der Kneipe. Christa T. hat ihren Schülern gestattet, ein bißchen zu feiern, jetzt tauchen ihre Köpfe manchmal aus dem Qualm auf, der über den Tischen liegt; Wolfgang, der mit dem Traktoristen Schach spielt; Jörg, der sich an einer Beethovensonate auf dem verstimmten Klavier versucht; Irene, die mit den Dorfjungen über Comics streitet. Christa T., die Lehrerin, sitzt mit den Bauern in der Ecke am Ehrentisch und wird mit Bier traktiert. Mir scheint, am Anfang hab ich meinen Beruf und die seelische Struktur meiner Schüler etwas unterschätzt ...
    Nehmen wir den nächsten Tag. Die neblige Kälte des frühen Morgens, das nasse Kartoffelkraut, die klammen Finger. Das letzte Feld. Bis Mittag zu schaffen, wenn Hammurabi will. Christa T. mißt mit dem Blick die Länge des Feldes, dann sieht sie Hammurabi an, wiegt zweifelnd den Kopf – pure Taktik. Hammurabi hat nichts gesehen, er braucht keine Aufforderung, er wechselt einen Blick mit Wolfgang, stößt seinen Pfiff aus, und dann fangen sie an, den Korb zwischen sich. Christa T. ist beruhigt: Zur Frühstückspause werden die beiden am anderen Feldrand sein. Sie selbst hält sich mit den Mädchen etwas zurück, manchmal sei es schlau, dieMänner siegen zu lassen. Die Mädchen betteln, sie soll noch ein paar plattdeutsche Sprichwörter zum besten geben. Wenn’t Hart man swart is, seggt de Köster, dann hadd hei taun Gräwnis ne rod West antreckt. – Noch eins, bitte! – Ja, Geld up de Sparkass is schön, seggt de Deern, aber Kauken is doch noch’n bätten schöner! – Sick de Arbeit bequem maken, is kein Fulheit, seggt de Knecht taun Burn. – Die Jungen werden neidisch auf das Gelächter in ihrem Rücken, sie werfen mit Erdbrocken.
    Inzwischen ist die Sonne durchgekommen. Frühstück. Christa T. biegt das Kreuz gerade, zufrieden blickt sie über das zu zwei Dritteln leere Feld. Sie schleppt mit Irene die Kanne herbei und läßt den Deckel mit dem heißen Kaffee kreisen. Die Erde an den Händen wird schon trocken und spröde, ein Zeichen, daß die Pause dem Ende zugeht. Da bringt Bodo die Kröte.
    Sie sitzt auf seiner ausgestreckten Hand und glotzt angstvoll. Niemand wundert sich, daß wieder eine Wette fällig ist, aber niemand nimmt Bodo ernst. – Was krieg ich, wenn ich der Kröte den Kopf abbeiße? Von dir? – Dreißig Pfennig. – Von dir? – ’ne Mark. – Von dir? – Mach dich weg, pfui Deibel! – Natürlich ist es Unfug, nichts als Angabe, es kommt nicht dazu, aber die Gesichter der Jungen beleben sich. Irene springt auf, gibt Bodo einen Stoß: Weg mit dem Vieh! – Bodo trägt die Kröte in die feuchten braunen Blätter zurück. Da steht Hammurabi hinter ihm. Warum sie ihn bloß so nennen, und wo ist er eigentlich bis jetzt gewesen? – Her mit der Kröte! Also: Was krieg ich, wenn ich ihr den Kopf abbeiße? Von dir? Von dir? Von dir? – Da kommt Pfiff in die Sache, da fliegen die Antworten schneller,auch der Preis scheint gestiegen zu sein: fünfzig Pfennig – nichts – hast ja Hemmungen – ’ne Mark – ’n Groschen – wenn du dich traust: einsfuffzig. – Hammurabi, sagt Christa T., zu leise, sie fühlt es selbst. Wilhelm! Das tust du nicht! – Sie tritt auf ihn zu, da weicht er lässig aus. – Fünf Mark achtzig, sagt er. Schäbig, aber der Mensch freut sich.
    Dann wird es still auf dem Feld. Man hört den angstvollen Atem der Kröte, sieht ihre weiße Brust pulsieren. Das tut er nicht, das tut er nicht ... Da hat er dem Tier schon die Vorderbeine heruntergebogen, schnellt seinen Kopf seiner Hand entgegen und beißt zu. Christa T., die Lehrerin, sieht seine gesunden, blendend weißen Zähne schnappen, einmal, noch einmal. Das Krötenhaupt sitzt fest am Rumpf.
    Da knallt der schwarze Kater noch einmal an die Stallwand. Da zerschellen noch einmal die Elsterneier am Stein. Da wird noch einmal der Schnee von einem steifen kleinen Gesicht gewischt. Noch einmal schnappen die Zähne

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