Nachhaltig tot (German Edition)
Knopf, um den Rechner hochzufahren. Ein Geräusch ließ ihn zur Tür blicken. „Keine Störung“, wollte er sagen. Doch der Mund blieb ihm offen stehen. Er blickte in die Mündung eines Revolvers. Ein Schuss löste sich, streckte ihn zu Boden. Er hörte, wie sich Schritte entfernten. Das Gelände von Cattenom ist ein Hochsicherheitsbereich, schoss ihm durch den Kopf. Wie hatte dieser Mann es bis hierher geschafft? Dann schwanden ihm die Sinne.
Dreiländereck, später Samstagnachmittag
Ich starrte auf mein Handy. Was ich da eben gehört hatte, konnte nicht sein.
Eben noch hatten wir demonstriert, jetzt saßen wir gemeinsam mit den Lothringern und Luxemburgern im „Au pied du Château“ in Manderen. Am Fuße des Schlosses zu Malbrouck. Die Besitzer des Restaurants waren Aktivisten gegen Cattenom. Einige der wenigen, die es in Lothringen gab. Die meisten kamen prima klar mit dem Ungetüm direkt vor ihrer Haustür. Ich selbst hatte früher von Amts wegen gar keine Meinung gehabt. Damals hatte ich nämlich noch auf der anderen Seite gestanden. Also, richtig auf der anderen Seite. 30 war ich damals. Musste die Meute in Schach halten, die gegen Cattenom demonstrierte. Das war 1980. Langhaarige Jutesackträger. Ungewaschen, mit struppigen Bärten und in Norwegerpullovern. Ungepflegte Studenten, die zu viel Zeit hatten. Was haben wir sie verachtet! Wir, die einer anständigen Beschäftigung nachgingen, Steuern zahlten und einen nützlichen Dienst für die Gesellschaft leisteten. Und uns ständig mit diesen Terroristen herumschlagen mussten.
Seit zwei Jahren bin ich pensioniert. Und sehe die Dinge ganz anders. Aber das, was mir mein Gesprächspartner eben mitgeteilt hatte, machte mich erst einmal wortlos. Gleich nach der Demo war der Cattenom-Direktor angeschossen worden. Er lag im Koma.
Ich sah mich im Restaurant um. Eine bunt gewürfelte Menge von fröhlich schwatzenden Leuten. Die meisten kannte ich seit Jahren. Ich hob die Hände und brachte sie zum Schweigen. Entsetzte Blicke nach meinem Bericht. Nein, einige schauten zufrieden. Als hätte Lafitte es verdient. Radikale, auch heute noch? Julien schaltete das Radio ein. France Info. Und alsbald hörten wir einen Reporter die Ereignisse schildern. Die Demo, das anschließende Attentat. Jetzt begriffen auch die Letzten, dass wir damit in Zusammenhang gebracht wurden.
„Aber offenbar ist er doch auf dem Gelände erschossen worden“, sagte einer, „angeschossen“, verbesserte ihn ein anderer, „ja, angeschossen. Jedenfalls ist das ein Hochsicherheitstrakt. Da muss man durch zig Sperren und Kontrollen hindurch. Und denkt mal an die ganze Polizei, die um uns herum gestanden ist. Das kann keiner von der Demo gewesen sein.“
Das leuchtete ein. Die Vermutungen schossen ins Kraut.
„Vielleicht war es der Mann seiner Geliebten.“
„Oder seine eigene Frau.“
„Oder die Geliebte selbst.“
Einige kicherten. Die Franzosen blickten betreten ob der ewigen Klischees über ihr Sexualleben.
„Vielleicht jemand aus der Arbeiterschaft“, lenkte einer der Luxemburger die Überlegungen in eine andere Richtung.
Julien schüttelte den Kopf. „Die werden gut bezahlt. Klar, gibt es Konflikte zwischen der Gewerkschaft und der Leitung der Zentrale, aber gleich auf ihn schießen?“
Ja, das war der Punkt. Mein Polizistenhirn fing an zu arbeiten.
„Man müsste das Motiv kennen. Aber was anderes: Es gibt garantiert zahllose Kameras auf dem Gelände. Da ist der Täter bestimmt gefilmt worden.“
„Genau, der muss ja auch wieder vom Gelände runter.“
„Das schafft der nicht ungesehen.“
„Den haben sie bestimmt bald.“
„Das kann ganz sicher keiner von den Demonstranten gewesen sein.“
Wir diskutierten noch eine Weile, aber die gute Stimmung nach der gelungenen Demo war verflogen. Die ersten brachen bald auf. Als wir aus der Tür des „Au pied du Château“ traten, verabschiedete sich gerade die Abendsonne über dem Tal, beschien die auf der Anhöhe liegende Burg. Ein majestätischer Anblick.
Das abgelegene Tal führt nach Apach, einem der drei Grenzorte an der Mosel. Die Straßen aus dem französischen Apach, dem luxemburgischen Schengen und dem saarländischen Perl treffen sich in einem Kreisel vor der Moselbrücke. Daran, dass Schengen der europäischen Grenzöffnung den Namen gegeben hatte, dachten wir nur selten. Die Raucher fuhren nach solchen Demos meist noch über die Brücke nach Luxemburg, um sich an den Tankstellen günstig mit Zigaretten zu
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