Nachhaltig tot (German Edition)
dem Thema sofort abgelehnt hatte. Ich beauftragte Hans, eine Auflistung der gesellschaftlichen Zugehörigkeit der Bewohner beider Flügel zu besorgen. Vielleicht war es kein Zufall, dass meine Oma, die den höchsten Tarif zahlte, im Flügel A wohnte.
Nachdem ich Hans eine gute Nacht gewünscht hatte, tippte ich meine Notizen ordentlich in den PC. Ich kopierte die wichtigsten Stellen der Studie, fügte alles schön zusammen, und druckte das Dokument aus. Ich heftete die Blätter in einen Ordner, damit meine Oma sie leichter durchblättern konnte. Die Originaltabelle wollte ich in der Wohnung verstecken. Ich suchte lange nach dem sichersten Ort, bis ich die Vase fand, in der seit 20 Jahren der Hochzeitsstrauß meiner Mutter Staub sammelte.
Als ich die Vase auf den Schrank zurückstellte, setzte ich mich auf die Bettkante meiner Eltern. Plötzlich fingen meine Beine an zu zittern. Es hätte auch vor Müdigkeit geschehen können, aber ich wusste, das war es nicht. Ich hatte Angst. Bis jetzt war es nur ein Spiel: Tarnung, Recherche mit einem Jungen, der mir sowieso gefiel, die Phantasien einer alten Dame. Aber das Verstecken eines schweren Beweises, die Möglichkeit einer eventuellen Hausdurchsuchung machte das Spiel ernst. Ich blickte zum Fenster. Bevor ich die Vase nahm, hatte ich vergessen, die Jalousien runterzuziehen. Vielleicht wurde ich bereits beobachtet? Mein Herz pochte laut, meine Handflächen schwitzten. Ich zog die Jalousien runter und warf mich auf das Bett. Nein, nein, nein! Ich will mich nicht einmischen! Morgen gehe ich zu meiner Oma und sage alles ab. Sie soll den Schmuck den Hunden geben, mir soll es recht sein, aber sie soll mich aus der Geschichte rauslassen. Sie soll sich an die Direktorin wenden oder an die Wasserwerke, sie soll eine Anzeige bei der Polizei machen oder tun, was sie will, nur ohne mich!
Die Entscheidung beruhigte mich ein wenig. Vielleicht schlummerte ich auch ein. Ich fuhr beim Klingeln meines Handys auf. Es war fünf Uhr morgens. „Ich bin’s. Könntest du schnell zu deiner Oma kommen? Nimm ein Taxi. Aber beeil dich!“
Nur gut, dass ich noch angezogen war. Nach einer Viertelstunde stand ich schon am Bett meiner Oma. Schläuche hingen aus ihr heraus oder führten in sie hinein, und sie war sehr blass. Ihre Augen waren aber geöffnet. Ich musste mich ganz nahe an sie lehnen, um zu verstehen, was sie sagte. Sie flüsterte den Namen unseres Hausarztes, und dass ich sie in ein offizielles Krankenhaus bringen lassen sollte. Aber schnell, wenn mir ihr Leben lieb sei.
Auf dem Flur traf ich die Pflegedienstleiterin Frau Körber. Die Geschehnisse täten ihr sehr leid, meine Oma schien immer so ausgeglichen zu sein. Langsam verstand ich, was passiert war, beziehungsweise, wie die offizielle Version lautete. Schlafmittelüberdosis, Selbstmordversuch. Sie habe die Tabletten wahrscheinlich mit dem Kakao am Abend genommen, sonst habe man in ihrem Magen nichts gefunden. Es sei ein großes Glück, dass sie nicht auf die Idee gekommen sei, das Zeug mit Alkohol zu nehmen. Ich fragte mich, warum, aber wollte es gar nicht so genau wissen. Zu erschrocken war ich.
Hans, dachte ich. Wäre er nicht im Dienst gewesen, würde meine Oma vielleicht nicht mehr leben. Die Kraft verließ meine Beine, ich sank auf einen Plastikstuhl. Mir war, als wenn Tausende von Alarmglocken in meinem Kopf bimmelten: Vorsicht, was du sagst! Verrate dich nicht!
Ich legte mein Gesicht in die Hände. Ohne Zusammenhang, stotternd, fing ich an zu sprechen. Ich sagte, dass sie so was schon früher hatte. Als sie meine Mutter zur Welt brachte, als meine Eltern für eine längere Zeit ins Ausland zogen. Ich würde mit ihrem früheren Hausarzt sprechen. Dann sprang ich auf, ergriff die Hände der Pflegedienstleiterin. Ich musste verhindern, dass sie es noch einmal versuchten. Mit hysterischer Stimme forderte ich ihr Versprechen, dass sie persönlich auf meine Oma aufpassen würde. Eine Pflegerin kam gerade vorbei. Ich rief ihr zu: „Die Frau Körber ist verantwortlich dafür, dass meiner Oma nichts passiert!“
Ich wusste nicht, ob ich es mir nur einbildete, aber sie guckte recht unbehaglich. Als wenn ihr weißer Kittel plötzlich zu eng geworden war.
Mehr konnte ich in der gegeben Situation nicht machen. Mein Gehirn arbeitete wie eine Dampflok. Ich musste Oma von hier wegbringen lassen. Aber wie? Der Hausarzt konnte dabei nicht behilflich sein. Er war nie ein Meister seines Berufes gewesen. Ich dachte immer, beim Aspirin
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