Nachhaltig tot (German Edition)
meine. In der örtlichen Zeitung sollte sofort eine Anzeige veröffentlicht werden, in der man die Bewohner über die Wasserversorgungsstörungen informiert und um Entschuldigung bittet. Die betroffenen Gebiete sollen genau genannt werden. Nehmen Sie zusätzlich zwei bis drei Bezirke dazu. Heute Abend halten wir eine Krisensitzung. Bringen Sie alle mit, die für die Geschehnisse verantwortlich sind. Noch so ein Unfall, und wir sind erledigt. Verstanden?”
Mein Kopf brummte, das Wasser floss von meiner Stirn, als ich nach Hause fuhr – natürlich wieder bergauf. Ich hatte keine Ahnung, was ich mit all den Informationen anfangen sollte, die meine Oma in anderthalb Stunden auf mich geschüttet hatte. Wie sollte ich mit Hans Kontakt aufnehmen, wenn ich nicht einmal seinen Namen kannte? Und vor allem: Wie sollte ich mich aus der Sache rauswinden, ohne dass ich meine Oma so beleidigte, dass sie ihren Familienschmuck nicht wie versprochen mir, sondern dem Hundeheim vererbt?
Abends unterbrach mein klingelndes Handy meinen neuerlichen Lernfluss über den Burenkrieg.
Keine bekannte Rufnummer.
Vielleicht waren es meine Eltern aus einer öffentlichen Telefonzelle? Gibt es eigentlich an den weißen Sandstränden auf Mauritius öffentliche Telefonzellen? Doch es meldete sich eine unbekannte Männerstimme. Er stellte sich zwar vor, aber ich verstand seinen Namen nicht. Ich weiß nicht, wie lange noch die Wissenschaft braucht, bis sie endlich ein Telefon entwickelt, das mit der zentralen Datenbasis in direkter Verbindung steht und schon beim Wählen die Fingerabdrücke identifiziert. Und sie natürlich gleich weiterleitet. Es wäre doch toll, wenn die wichtigsten Infos sofort auf dem Bildschirm erscheinen würden: Name, Alter, Familienstand, bei Männern Gewicht und Bizepsumfang, eventuell ein kleines Digitalfoto, das man später vergrößern könnte, abhängig von Alter und Gewicht - in Badehose oder Wintermantel.
Mein uraltes Gerät verriet aber nichts davon, ob der Anrufer überhaupt einen Bizeps hatte. Ich wollte gerade danach fragen, als er mich unterbrach: „Entschuldigung wegen der Störung. Ich glaube aber, in unser beider Interesse ist es doch unvermeidlich, dass wir uns treffen und über die Sache sprechen.“
In meinem Kopf liefen all die Ereignisse der letzten zwei Wochen in einem Zeitraffer ab. (Wird der Tod auch so sein?) Ich war zweimal schwarzgefahren mit der Straßenbahn. (Meine Monatskarte war im Schwimmbad ins Wasser gefallen.) Einmal war ich bei Rot über die Straße gegangen. (Auch dafür hatte ich guten Grund.) Aber sonst fiel mir nichts ein. Ich tobte nicht betrunken herum, verkaufte keine Drogenbonbons an die unteren Klassen, ich schwänzte sogar die Schule nicht einmal. Mit den Buren hatte ich zwar einen kleinen Konflikt, aber die wandten sich bestimmt nicht an die Polizei.
Er fuhr fort: „Ich meine zwar nicht, dass wir das Ganze zu ernst nehmen sollten, aber man kann doch vorsichtig sein. Hast du heute Abend Zeit?“
Er duzte mich. Und warum sollte ich vorsichtig sein? War es eine Falle? Oder wollte er mit mir ausgehen? Wagte es nur nicht, direkt zu fragen? Ein heimlicher Verehrer?
Noch einmal stöhnte ich über mein mittelalterliches Touch-Screen-Gerät. Wer es smart phone getauft hatte, wusste wohl nicht, wovon er sprach. Sollte ich auf die Frage eines Fremden gleich mit Ja antworten? (Den aggressiven Buren-General, der meine Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte, schob ich zärtlich hinter den Vorhang seines Kriegszeltes zurück. Klar, dass ich mich heute Abend nicht mit ihm verabreden werde, wenn ich ein besseres Angebot kriegen sollte!) Schnell, bevor er noch weiterreden konnte, sagte ich ins Telefon, dass ich ausnahmsweise Zeit hätte.
„Okay. Am besten treffen wir uns, wo es laut und voll ist. Ich glaube zwar nicht, dass wir beobachtet werden, aber wie gesagt, wir sollten vorsichtig sein. Der Bahnhof? Um 18.50 kommt der ICE aus Wien an. Da steigen immer eine Menge Passagiere aus. Ich erwarte dich auf Gleis 7, im Sektor E.“ Und schon hatte er die Verbindung unterbrochen.
Ich schob das Kriegsfeld der Buren mit einer Handbewegung von der Erde. Ich guckte nicht einmal nach, wie die kleinen Kämpfer im Weltall verschwanden. Stattdessen stopfte ich schnell die schmilzende Milchschnitte in den Mund und rannte in die Garderobe meiner Eltern. Das Ganze war so aufregend wie ein Krimi.
Klar, dass ich zum Bahnhof gehen und mir den Anrufer angucken würde. Nur würde ich mich nicht so blöd
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