Nachhaltig tot (German Edition)
konnte ich nicht. Zum Kommissarenfreund meines Vaters auch nicht. Es blieb nur ein Ort übrig, wo ich relativ sicher war: in der Höhle des Löwen. Wenn ich genug Lärm machen würde, würden sie es nicht wagen, mich zu beseitigen. Auch wenn ich mich am Bett meiner Oma festbinden musste.
Dazu hatte ich allerdings keine Gelegenheit mehr. Bei meinem Eintreffen im Heim war meine Oma nirgends zu finden. Ich sah auch keinen Hans, und auch Frau Körber schien nicht mehr im Dienst zu sein. Das ganze Gebäude war wie ausgestorben. Ich geriet in Panik: Ich war zu spät gekommen.
Ich rannte zum ersten Stock, wo die Verwaltungsbüros waren. An der Tür mit dem eleganten Kupferschild „Geschäftsleitung“ klopfte ich. Keine Antwort. Ich öffnete und spähte hinein. Niemand zu sehen. Elegante Büromöbel aus Metall und Glas, pedantische Ordnung, in der Ecke eine glänzende Kaffeemaschine, ein Wasserautomat. So war es leicht, sauberes Wasser zu trinken, dachte ich. Rechts eine elegante Holztür. Ich klopfte nicht einmal, sondern ging einfach rein.
Das Büro der Direktorin glich einer Bibliothek aus dem letzten Jahrhundert. An den Wänden Bücherregale, voll von glänzenden, ledergebundenen Folianten. Ich stand in der Mitte, blickte rundherum, bis mir schwindelig wurde.
Ich dachte, ich halluziniere, als sich eine Wand bewegte. Mitsamt Regal und Büchern drehte sie sich aus der Ecke, und aus dem grellen Hintergrundlicht trat die Direktorin hervor.
Wer von uns mehr erschrak, konnte ich nicht feststellen. Ich wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. Sie schrie mich an, wer ich sei und was ich in ihrem Büro suche.
„Meine Oma!”, erwiderte ich, ohne nachzudenken. Meine Hände waren klitschnass, mir war es ganz schwindelig. Die Direktorin trat aus dem geheimnisvollen Türrahmen heraus und mit einer überraschend leichten Handbewegung schob sie das Regal zurück. Sie zeigte unmissverständlich auf die lederne Sitzgarnitur. Ich sank in den Sessel und fühlte, wie meine Tränen das Gesicht hinunterliefen. „Meine Oma … Wo ist meine Oma?”
Die Direktorin holte mir ein Glas Wasser aus dem Vorzimmer. Meine Hand zitterte, als ich nach dem Plastikbecher griff. Nein, sie werden mich nicht so leicht aus dem Weg räumen können, dachte ich. Wie zufällig rutschte der Becher aus meiner Hand auf den teuren Teppich. Ich stotterte eine Entschuldigung und wischte mit einem Taschentuch das Wasser von der Sessellehne. Dann fing ich wieder von meiner Oma an. Ich dachte, sie fragt mich aus, geht dann zum Telefon, ruft nach einem Pfleger. Stattdessen nahm sie mir gegenüber Platz. Ich hörte ihr verblüfft zu. Sie wusste über meine Oma genau Bescheid. Sie erzählte, dass heute Vormittag ein alter Freund von ihr, einer der berühmtesten Ärzte der Stadt, nämlich ein Professor für Psychiatrie, meine Großmutter in seine Klinik aufgenommen hatte. Leider könne sie mir keine weiteren Informationen geben, der Herr Professor habe für meine Oma absolute Ruhe verordnet. Aber sie versprach mir, mich sofort zu informieren, wenn sie etwas erfuhr.
Sie stand auf, öffnete die Bürotür. Ich verstand, sie war fertig mit mir. Auf der Schwelle drehte ich mich um: „Sie wissen nicht einmal, wer ich bin! Ich habe mich gar nicht vorgestellt! In diesem verdammten Haus könnte jeder meine Oma sein!“
Kaum rutschten die Wörter aus meinem Mund, wusste ich, dass ich einen fatalen Fehler begangen hatte. Das freundliche Schauspiel war mit einem Schlag dahin, zwei verbitterte Gegner starrten einander an. Sie sprach mit heiserer Stimme. Sie quietschte so, dass es mir kalt den Rücken runterlief. „Ich weiß genau, wer Sie und Ihre Oma sind. Am besten kümmern Sie sich beide in der Zukunft um Ihre eigenen Angelegenheiten. Auf Wiedersehen!“
Ich rannte, wie ich nur konnte. Den Flur entlang, die Treppe runter. Hinter mir hörte ich schnelle Schritte, aber ich drehte mich nicht um.
Ich lief aus dem Gebäude, durch den Park bis zur Bushaltestelle. Zwei Frauen standen dort, die sich unterhielten. Die eine fragte mich nett, ob ich ein wenig Mineralwasser trinken wollte, und schon zog sie eine kleine Flasche aus ihrer Einkaufstüte heraus. Ich sprang entsetzt beiseite: „Ich bin allergisch gegen Mineralwasser. Gegen Leitungswasser. Gegen allerlei Wasser!“ Meine Nerven waren total kaputt.
„Hallo, ich bin’s. Wo ist sie??? Ich sagte Ihnen, sie sollte ruhiggestellt werden. Wo wir sie im Auge behalten können. – Nein, Ihre Ausreden interessieren mich nicht. Wo
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