Nachhaltig tot (German Edition)
gebildet war. In der anderen Hand hielt er einen dem Drohbrief beigefügten Zeitungsbericht der Münsterländischen Tageszeitung. Der Landwirt aus Molbergen fühlte sich nicht einfach nur genötigt. Das war – ganz unmissverständlich – eine Morddrohung, da war er sich sicher. Sie galt zweifelsfrei ihm, denn der Zeitungsartikel berichtete von einem Vorfall in seinem Betrieb aus dem Jahre 2010. Es war von einem Unfall in seiner Biogasanlage zu lesen, bei dem drei Menschen getötet worden waren. Irgendjemand wollte ihn mit dieser Nachricht davon abbringen, in der Nachbargemeinde Grönheim eine weitere Biogasanlage zu bauen. Sollte er seine Pläne dennoch umsetzen, würde er das teuer bezahlen müssen – so stand es auf dem Zettel geschrieben.
Der Landwirt war schockiert. Sicher, er hatte für den schrecklichen Unfall von damals die moralische Verantwortung übernommen. Doch eine direkte Schuld an dem Unglück traf ihn nicht. Die Untersuchungen hatten seinerzeit ergeben, dass das Tankfahrzeug einer Zulieferfirma aus Holland ein Leck hatte, aus dem eine tödliche Giftwolke ausgeströmt war. Die hatte zum Vergiftungstod dreier Menschen auf seiner Biogasanlage geführt. Üppige Schmerzensgeldzahlungen der niederländischen Firma an die Hinterbliebenen konnten über die schweren Schicksalsschläge natürlich nicht hinweghelfen. Thies Otten arbeitete seit dem Vorfall nicht mehr mit der Firma zusammen, und nach einigen Monaten schien Gras über die Sache gewachsen zu sein. Die aufgrund des Unglücks zunächst wieder laut gewordene Kritik an seiner Biogasanlage verstummte nach weiteren drei Monaten. Da die Unmutsäußerungen mit von der Öffentlichkeit verurteilten Aktionen einiger militanter Umweltschützer einhergingen, war schnell die Rede vom uneinsichtigen Wutbürger. Die Allgemeinheit stand dem grünen Strom, den die Anlage von Thies Otten produzierte, überwiegend positiv gegenüber. Schließlich gelangte der in Molbergen aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnene Biostrom in das öffentliche Netz. Zunächst belieferte Bauer Otten mit seiner Anlage kommunale Einrichtungen, wie das Cloppenburger Krankenhaus oder die Stadtverwaltung. Mit seiner geplanten zweiten Biogasanlage im benachbarten Grönheim wollte er nun Biostrom für die privaten Haushalte in Cloppenburg produzieren. Die Gasleitung, die von Molbergen aus über Stedingsmühlen und Ambühren in die Kreisstadt führen sollte, befand sich schon im Bau. Doch irgendjemand schien etwas dagegen zu haben, dass Thies Otten eine zweite Biogasanlage baute. Aber wer konnte das sein?
* * *
Polizeikommissar Hendrik Willen hielt mit unterkühltem Blick das schwarze Sportcoupé an, das in der Tempo-30-Zone eindeutig zu schnell unterwegs war. Er erkannte das Auto und den Fahrer darin: Alfons Hackmann, der seit seinem Lottogewinn auf großem und in diesem Fall auch auf schnellem Fuß lebte.
„Moin Hacki, was hast du es in der Früh denn so eilig?“
„Moin Pommes, weißt du doch. Ich bin halt immer spät dran“, versuchte sich Alfons Hackmann herauszureden.
Pommes war Hendrik Willens Spitzname aus alter Handballzeit. Der eher stille Junge war damals mit einem Meter fünfundachtzig nicht sonderlich groß, aber die gerade mal siebzig Kilogramm Gewicht hatten seine Eltern veranlasst, den „Spargeltarzan“ ständig zu ermuntern, mehr zu essen. Und so aß Hendrik – Pommes Frites nach jedem Training. Schnell wurde er im Verein zum Kultivierer dieser länglichen, frittierten Kartoffelstäbchen. Dicker wurde er jedoch nicht dadurch. Doch Hendrik hatte seinen Spitznamen weg.
„Ich drück’ noch mal ein Auge zu, Hacki, weil noch nicht viel los ist.“
„Danke, Pommes!“
Der Kommissaranwärterin auf der anderen Seite des Sportwagens warf der Beamte einen strengen Blick zu, der jeden Widerspruch im Keim erstickte. Anja Krause gefiel das zwar nicht, aber sie fügte sich zunächst. Schließlich war Willen der Chef. Nachdem Alfons Hackmann seine Fahrt im vorgeschriebenen Tempo fortgesetzt hatte, erklärte Pommes seiner jungen Kollegin, die bei ihm in der Dienststelle Molbergen das während des Fachstudiums vorgeschriebene Praktikum absolvierte, weshalb er so gehandelt hatte:
„Hier auf dem Land muss man mit allen gut zurechtkommen. Da sollte man bei Kleinigkeiten nicht päpstlicher sein als der Papst.“
Die Kommissaranwärterin sah ihn etwas irritiert an und fragte: „Meinst du nicht, dass du das Uraltimage von der Polizei als Freund und Helfer ein wenig zu wörtlich
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