Nachhaltig tot (German Edition)
Aber wir betreiben zudem eine Biogasanlage. Als Zusatzgeschäft, sozusagen. Die Nebenprodukte aus Tierzucht und Landwirtschaft können für die Herstellung von Biogas verwendet werden. Außerdem wird die Anlage mit Zuschüssen vom Staat gefördert.“
„Verstehe. Die Geschäfte laufen gut und Sie wollen eine zweite Anlage bauen.“
„Die wetterunabhängige Erzeugung von Biostrom sichert uns als Anlagenbetreiber eine kalkulierbare Einnahmequelle, da Energie aus Biogas keinen Preisschwankungen unterworfen ist, wie es beispielsweise bei der Milch der Fall ist. Gleichzeitig tragen wir mit einer Biogasanlage aktiv zum Umweltschutz und zum Energiemix der Gemeinde bei.“
„Toll auswendig gelernt. Ihr macht es der Kohle wegen“, kommentierte Willen die Ausführungen seines Kumpels.
„Na und, ist das etwa verboten? Du kaufst deine Milch doch auch beim Discounter, Hendrik. Hauptsache billig. Ob wir Milchbauern von den Lebensmittelkonzernen ausgenommen werden, ist dir doch egal.“
„Ein Streit bringt uns nicht weiter, Leute“, versuchte die junge Kommissaranwärterin die Wogen zu glätten. „Wir müssen herausfinden, wer Ihren Vater bedroht. Nur so können wir ihn schützen. Haben Sie eine Idee, von wem der Brief stammen könnte, Herr Otten?“
„Da kämen viele infrage“, antwortete der junge Landwirt und nannte einige Namen, die der Gegner-Fraktion der Biogasanlage zuzurechnen waren. Anja Krause notierte sich die Namen in ihr Notizbuch.
„Morgen findet eine Gemeindeversammlung statt. Da werden alle kommen – die, die für die Anlage sind, und die, die dagegen sind. Vater hat zu der Veranstaltung eingeladen und will den Grönheimern erklären, warum wir die Anlage bauen werden und welche Vorteile sie davon haben.“
„Ihr Vater begibt sich damit in die Höhle des Löwen. Schon mal darüber nachgedacht, dass man dort einen Anschlag auf ihn ausüben könnte?“
Der Jungbauer sah die Polizisten erschrocken an.
„Ihr müsst ihn beschützen!“, flehte er die Beamten an.
„Wir sind keine Personenschützer, Helge“, antwortete Willen schroff.
„Wir könnten aber hingehen und für einen störungsfreien Ablauf der Versammlung sorgen“, erwiderte die junge Kollegin.
Für eine Weile schwiegen alle. Die Polizistin und der Landwirt warteten auf Willens Reaktion, dessen Blick zorniger wurde. Der Polizist wandte sich von ihnen ab in Richtung Auto.
„Wir sehen uns dann morgen, Helge.“
Helge Otten atmete erleichtert auf. Er rief Willens Kollegin noch Ort und Uhrzeit der Veranstaltung zu und sah dann dem Polizeiwagen hinterher, der langsam vom Hof fuhr.
* * *
Thies Otten hatte alle Anwohner der geplanten Biogasanlage zu einer Informationsveranstaltung mit anschließendem Freibier ins Alte Landgasthaus Dwergte eingeladen. Die meisten Anwohner waren seiner Einladung gefolgt. Das Lokal in Dwergte gab es schon ewig. Es schien, als wäre es seit der Eröffnung nicht mehr renoviert worden. Thies Otten war es aber egal, dass das Gasthaus von der Tourismusbranche oder der Dehoga nicht sonderlich empfohlen wurde. Im ganzen Landkreis war bekannt: Der frische Krabbensalat kam seit eh und je frisch aus der Dose, die Einrichtung, Eiche rustikal, sah aus wie Gelsenkirchener Barock, aus dem Radio strömte gediegene Marschmusik – und noch so manches andere stand für das, was man gemeinhin deutsche Gemütlichkeit nennt. Der Landwirt befand, dass diese Lokalität dem Anlass des Treffens entsprach. Außerdem war es eine günstige Lösung.
Als der alte Otten zusammen mit den beiden Polizisten den großen Saal betrat, war bereits eine hitzige Diskussion im Gange. Es hatten sich zwei Lager gebildet: ein konservativ-bürgerliches, das überwiegend aus den betroffenen Anwohnern in Grönheim bestand, sowie ein grün-alternatives, das von Umweltaktivisten dominiert wurde. Die Lautstärke hatte einen Pegel erreicht, bei dem man sein eigenes Wort nicht mehr verstand. Es wurde zwar laut und wild, aber friedlich durcheinandergeredet. Die Debatte entzündete sich an der Umwelt- und Energiepolitik der Bundesregierung in Berlin. Auslöser war der Rausschmiss des Umweltministers aus dem Kabinett nach der CDU-Wahlpleite in NRW, die dieser zu vertreten hatte. Einige Bürgerliche kritisierten, die Kanzlerin würde ihrem Image als eiserne Lady gerecht, die ihren Minister eiskalt abserviert hätte. Andere Stimmen verwiesen auf die Notwendigkeit, der Energiewende eine höhere Priorität einzuräumen, und empfahlen, ein eigenständiges
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