Nachhaltig tot (German Edition)
höchstens die Tatbestände von Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Das musste er dem Anwalt lassen: Der verstand seinen Job ziemlich gut. Willen ließ Paula nach dem Verhör gehen, zumindest vorerst.
„Ihr könnt mir gar nichts! Ich werde so lange weitermachen, bis der Otten aufgibt. Da kannst du Gift drauf nehmen, Pommes!“, kündigte die Umweltaktivistin kampfbereit und uneinsichtig an, als sie den Verhörraum verließ.
„Grünes Gift?“, hakte der Polizist provokativ nach.
„Wir leben in einer Demokratie, Herr Willen. Da ist es jedem Bürger gestattet, für seine Meinung auf die Straße zu gehen um zu demonstrieren.“
Für diese Äußerung wäre Willen dem bissigen Winkeladvokaten beinah an die Gurgel gegangen. Doch er beherrschte sich.
„Ich frage mich nur: Was ist hier stärker bedroht – die Umwelt oder das Leben eines Landwirts, dessen Sohn dem übertriebenen Umweltschutz bereits zum Opfer gefallen ist. Das ist schon kein Ökofanatismus mehr, das ist Ökofaschismus!“
„Seien Sie mit Ihren Äußerungen vorsichtig, Herr Polizeikommissar. Sonst haben Sie schneller eine Dienstaufsichtsbeschwerde am Hals, als Ihnen lieb ist!“
„Dann glauben Sie also auch, dass es Ihre Mandantin war?“
Der Anwalt grinste spöttisch, drehte sich um und verließ das Polizeirevier. Anja Krause musste Willen festhalten, sonst wäre dieser dem Juristen wirklich noch ans Leder gegangen. Ob er wollte oder nicht, er musste nach weiteren Tatverdächtigen Ausschau halten.
Nachdem sich Willen wieder beruhigt hatte, ließen die Polizisten die Bürgerversammlung noch einmal Revue passieren. Willen beschloss, da nochmals anzusetzen. Er wollte sich nach und nach die Mitglieder der Gegner-Fraktion vornehmen und mit Ludger Wolf, dem Moderator der Versammlung, beginnen. Dieser kannte sich in Molbergen bestens aus und war zudem von dem Vorfall aus dem Jahr 2010 persönlich betroffen. Seine Kollegin schickte Willen zu Thies Otten, damit sie ihn noch einmal bezüglich seiner möglichen Feinde befragte. Darüber hinaus wollte die Kommissaranwärterin dem Landwirt ins Gewissen reden. Vielleicht würde er sich den Bau der umstrittenen zweiten Anlage noch mal überlegen oder wenigstens auf unbestimmte Zeit verschieben. Des lieben Friedens wegen. Denn nun hatte es seinen Sohn getroffen und der Täter lief schließlich noch immer frei herum.
Von Ottens Frau erfuhr Anja Krause, dass der alte Landwirt auf seiner Biogasanlage war. Doch er hätte längst zurück sein müssen. Sie machte sich schon Sorgen, sagte sie der jungen Polizistin.
Als die Beamtin die Anlage erreichte, die unweit des Bauernhofes lag, beschlich sie ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimmte nicht. Sie verließ den Wagen und suchte auf dem Gelände nach Thies Otten. Anja Krause passierte die Vorgrube, in der Gülle und andere Substrate zwischengelagert wurden, und stand vor zwei großen Fermentern, auch Bioreaktoren genannt, die die Kernstücke der Biogasanlage bildeten. Links davon lag das Gärrestelager. Die Polizistin ging rechts um die riesigen Reaktoren herum. Als Ihr Blick auf das neben den Gasbehältern errichtete Blockheizkraftwerk fiel, traute sie ihren Augen kaum. Zwischen Fermenter und Wärmespeicher sah sie in einem alten Benz Thies Otten sitzen. Als sie genauer hinsah, erkannte sie, dass er zwar gefesselt, aber noch bei Bewusstsein war. Offenbar hatte Otten sie bemerkt, denn er schien sie zu rufen. Durch das Fenster der hinteren Tür auf der Beifahrerseite sah die Beamtin einen Schlauch, der in das Fahrzeuginnere führte. Anja Krause griff zu ihrem Handy, wählte die Kurzwahltaste, die auf Willen programmiert war, und alarmierte den Kollegen, dass er rasch kommen möge. Danach blickte sie sich um und nachdem sie niemanden sehen konnte, lief sie weiter auf das Auto zu. Sie war durch Ottens Rufe, die sie durch das geschlossene Fenster nur gedämpft hörte, abgelenkt, sodass sie den Schatten nicht bemerkte, der von der anderen Seite des Fermenters herüberhetzte. Eine Sekunde später wurde sie durch einen wuchtigen Schlag in die Kniekehle von den Beinen geholt. Der Schmerz zog durch den ganzen Körper. Jemand schmiss sich auf sie und drückte ihr einen übel riechenden Lappen auf das Gesicht. Eine kalte Hand würgte ihren Hals. Die Polizistin versuchte, dem benebelnden, beißenden Chemie-Geruch irgendwie auszuweichen. Sie wehrte sich mit Händen und Füßen. Doch vergeblich, ihr Widerstand wurde immer schwächer. Um sie herum wurde es langsam dunkel.
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