Nachhaltig tot (German Edition)
Klimaschutzbilanz. Es wird mehr CO2 freigesetzt, als durch den Betrieb der Anlage eingespart werden müsste. Dann der Maisanbau, er schädigt durch den Stickstoffdünger das Grundwasser und damit das Trinkwasser. Außerdem geht die Artenvielfalt durch die Maismonokulturen verloren.“
Beifall aus den Reihen der Bürgerschaft übertönte Helge Ottens Klagelied von den geschröpften Milchbauern, die um ihre Existenz kämpfen und sich neue Einnahmequellen erschließen mussten. Sein Vater saß von Anfang an stumm daneben und beteiligte sich nicht an der nun äußerst hitzig geführten Diskussion. Ludger Wolf unternahm keine weitere Anstrengung, die Debatte zu moderieren. Er blieb auf seinem Stuhl sitzen und blickte mit einem hinterhältigen Grinsen zu Thies Otten herüber. Der alte Landwirt erhob sich plötzlich von seinem Sitzplatz und humpelte in Richtung Saalausgang.
„Ihr könnt euch auf den Kopf stellen, ich werde die Anlage wie geplant bauen!“, zischte er sichtlich erregt, während er von den Polizisten flankiert den Saal verließ.
„Das wirst du bitter bereuen, alter Mann. Dich mach’ ich fertig!“, schrie ihm Paula Liebrecht nach.
Ludger Wolf gab dem Wirt ein Zeichen, mit dem Bierausschank zu beginnen. Er nahm sein Glas und hob es für einen, wie er meinte, passenden Trinkspruch triumphierend hoch:
„Die Bürgerwehr in ihrem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf!“
* * *
Du hast das Spiel beginnen lassen.
Die Nachricht ist angekommen. Sie hat dem Alten einen gehörigen Schrecken versetzt. Du hast es in seinen Augen gesehen, dass er Angst hat. Angsthase. Sitzt in der Versammlung wie ein Häschen in der Grube. Die Polizei hat er sich zum Schutz mitgebracht. Ausgerechnet den Polizisten, der noch eine Rechnung mit ihm offen hat.
Wer war schuld damals? Er? Sie? Beiden hatten getrunken. Sie mehr als er.
Braveheart, der brave Polizist, war tapfer. Am Grab und auch danach. Ob er das je vergessen kann?
Und er liebt das Landleben – wie die anderen – und will es schützen. Muss es schützen. Braver Polizist, er wird das Richtige tun. Dafür wirst du sorgen.
Gut, gut. Du hast alles im Griff. Du bist mit deinem Protest nicht allein. Niemand hier will die zweite Anlage. Die braven Bürger wollen doch ihre kleine heile Welt schützen. Ihr spießiges Vorgärtchen, in dem der Regenwurm sich tummelt. Ihr Trinkwasser soll nicht übel riechen und die Kinderlein krank machen. Wenn sie aus dem Fenster blicken, wollen sie grüne Bäume, weite Felder und glückliche Milchkühe sehen. Keine hässlichen Gasbehälter. Wenn’s in der Anlage kracht, dann Gut’ Nacht.
Sie sind auf deiner Seite. Klar, denn sie wählen doch alle die Grünen, die Partei der Besserverdienenden, und meinen, damit tun sie etwas für Umwelt und Natur. Doch keiner will wirklich etwas unternehmen. Sie reden nur, tun aber nichts. Außer am Wahltag. Da machen sie ihr Kreuzchen und erleichtern ihr schlechtes grünes Gewissen.
Also musst du es tun. Du musst! Für sie, die so schwach sind.
Du kannst dir sicher sein: Alle sind gegen ihn. Das ist gut, denn dann fällt der Verdacht nicht so schnell auf dich. So kannst du in Ruhe weitermachen.
Die zweite Warnung wird noch deutlicher werden. Aber du musst aufpassen, darfst den Polizisten nicht unterschätzen. Braveheart. Sein naiver Blick ist trügerisch. Er ist nicht dumm, tut manchmal nur so.
Sei wachsam!
* * *
An die fünfzig Leute waren dem Aufruf der Bürgerinitiative zur Demonstration vor der Molberger Biogasanlage gefolgt. Die Demo war nicht angemeldet, sondern über Facebook organisiert. Dafür verlief sie aber überwiegend friedlich. Mit Pappschildern und Spruchbändern taten einige Bürger ihre Meinung zu Biogasanlagen kund. Heinrich Budde sprach als Vorsitzender der Bürgerinitiative durch ein Megafon und erntete in den Pausen, in denen er Luft holte, frenetischen Applaus. Neben ihm auf dem Podest vor den Toren der Anlage stand der in grüner Jägerkluft gekleidete Naturschützer Arne Andersen und ergänzte von Zeit zu Zeit Buddes Proklamation. Als passionierter Jäger untermauerte er die Argumentation aus Sicht von Flora und Fauna.
Paula Liebrecht führte ein Dutzend Aktivisten an, die sich der Demo angeschlossen hatten und mit Atemschutzmasken bekleidet Flyer unter den Anwesenden verteilten. Darauf waren radikale Parolen zu lesen wie „Stopp dem grünen Tod!“ oder „Biogasanlagen sind moderne Gaskammern!“ Einige Zettel landeten auf dem Boden, andere wurden aufmerksam gelesen
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