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Nachhinein

Nachhinein

Titel: Nachhinein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kraenzler
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Richtung Hintern fließen.
    Ihr Schrei ist hoch und spitz. Er ist geplatzt, denkt sie, geplatzt und ausgelaufen!
    Die Vaterarme geben sie frei. Blind tastet sie nach der feuchten Stelle. Weißlich-gelbe Fäden verkleben ihre Fingerspitzen. Der modrige Geruch fauliger, sich zu Tode blühender Büsche sticht ihr in die Nase. Pisse riecht anders. Ein bisschen beruhigt sie das.
    Dann wischt das Mädchen eine Träne, der Vater seine Spritzspur ab.
    Rotzig-glibbrige Klopapierblätter versinken in einer Keramikschüssel.
    Er drückt den Spülknopf und verlässt wortlos das Badezimmer.
    22.
    JasminCelineJustine hält mir ein abgegriffenes Stück buntes Papier unter die Nase. Papier, das einst Seite 16 des »StreetFighter-Magazins« war. Ihr Finger tippt auf eine muskelbepackte, ganz in rot gekleidete Figur. Unter übergroßen, athletischen Füßen lese ich den Namen »Ken«.
    »Das bist du«, bestimmt sie, während ich mir die Charaktereigenschaften einpräge, die man als »Ken« zu haben hat. Der Zeigefinger rutscht indessen abwärts bis ins unterste Seitendrittel, wo er sich in die halb entblößte Brust eines dunkelhaarigen Mannes mit Stirnband bohrt.
    »Ryu«, haucht es ehrfurchtsvoll aus JasminCelineJustines Mund. »Der bin ich.«
    Bis auf die Farbe ihrer Karateanzüge (Ryus ist weiß, Kens dagegen blutrot) unterscheiden sich die beiden kaum voneinander. Dieselben finsteren Blicke unter stirnbandgebändigten Fransen; dieselben, aus tief ausgeschnittenen Karate-Gis quellenden, Muskelmassen. Schwarze Gürtel umschlingen hier wie dort die schmalen Taillen. Dazu bloße Füße. Eine herausfordernd aufrechte Körperhaltung mit stur verschränkten Armen komplettiert die Figuren. Scharfsinnig mache ich darauf aufmerksam, dass Kens mittellanges, leuchtendgelbes Haar ursprünglich »definitiv« braun gewesen sein muss – man sieht das an den dunklen Augenbrauen ⁠… JasminCelineJustine will nichts davon wissen. Für sie sind und bleiben Ryu und Ken grundverschieden.
    Bevor wir auf die Straße gehen, erleichtere ich den Kleiderschrank meines Vaters um zwei schwarze Krawatten, die wir uns, in Ermangelung echter Obis, um den Leib binden. So gerüstet, ziehen wir los.
    Auf der immerfeuchten Wiese zwischen Spielplatz und Wäldchen wird der Ring abgesteckt, innerhalb dessen wir uns bewähren wollen. Sorgfältig verbinde ich vier knorrige, haselhölzerne Grenzpflöcke, welche die Eckpunkte unserer quadratischen Arena darstellen, mit kieseligen Linien aus Sand. Die Überquerung der sandigen Grenze wird die einstmaligen Blutsbrüder Ryu und Ken zu erbitterten Rivalen mutieren lassen – die Geschichte will es so.
    Um meiner Aufmachung den letzten Schliff zu geben, ziehe ich mir das T-Shirt über den Kopf, breite es auf dem Rasen aus und reiße die Ärmel ab. Mit dem Kopf deute ich auf JasminCelineJustines Hosentasche, aus der ein eselsohriger Zipfel Magazinseite ragt.
    »Hast doch gesehen, dass die ärmellos kämpfen ⁠…«
    JasminCelineJustine, die sich nicht auf offenem Feld entblößen will, verschwindet im Wäldchen. Wenige Minuten später tritt sie mit geröteten Wangen und stolzem Lächeln zwischen den Stämmen hervor. Triumphierend, die Ärmel wie zwei Skalps über dem Kopf schwenkend, läuft sie mir entgegen.
    »Na, Ryu? Kommst du, um dir eine Tracht Prügel abzuholen?«
    Ryu schweigt.
    »Hat’s dir die Sprache verschlagen, oder was?«
    Mit verächtlich verzogenem Mund überwindet sich der verschwiegene Japaner zu einer Antwort: »Ich sehe, es hat sich nichts verändert. Du schwingst die Reden, ich lasse Taten sprechen.«
    »Dass ich nicht lache! Wenn du deinen Hasenfuß in meinen Ring setzt, wird das deine letzte Tat gewesen sein!«
    Vorsichtig umschleichen sich die beiden Kämpfer. In Zeitlupentempo nähern sich Kens geballte Fäuste Ryus Kiefer. Hasserfüllte Schreie begleiten die Schläge: »Ich versenge dein Gesicht mit kochend-heißen Wogen aus Schmerz!!«
    Mit stoischem Gleichmut erträgt der Japaner die ersten Treffer. Nur wenige Augenblicke später geschieht das Unvermeidliche: Eine wilde, nicht zu bändigende Wutwoge überspült alle Zurückhaltung, lässt auch den letzten anerzogenen Damm bersten. Sein Kampfgeheul ist ohrenbetäubend.
    » HADOUKEN ! HADOUKEN !«
    »Deine lahme Faust ist nichts gegen den Sturm meines Tornado-Kicks!«
    » HADOUKEN !«
    »Ich bin die Sense, die dich niedermäht!«
    Ken packt Ryu um die Mitte und reißt ihn zu Boden. Sie rollen übers Gras. Der Weiße presst den Roten nieder.
    »

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