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Nachhinein

Nachhinein

Titel: Nachhinein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kraenzler
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SCHLÜSSELBEINBRECHER !!!«
    Der Mut des Amerikaners bleibt ungebrochen. Eine flinke Seitwärtsrolle, schon steht der Blonde wieder.
    »Was brauch ich mein Schlüsselbein?«
    Mit seinen Tritten zeichnet er Tausend Halbmonde. Köpfe wechseln von einem Schwitzkasten in den nächsten. Eisenhämmer, Felsfäuste und Handkanten hinterlassen wüste Trümmerbrüche. Sie fallen, springen, fegen sich von den Füßen.
    Ryu schwitzt. Er wappnet sich zum letzten Angriff, gleitet in einen Ausfallschritt und schleudert die Arme gestreckt nach vorne: »H AAAA D OOOO UUUU K E N !!!«
    Ein fauchendes Geräusch, gefolgt von blauen Blitzen. Die Intensität des Energiestoßes ist enorm.
    »Du bist vernichtet!«, brüllt der Japaner.
    »Bin ich nicht!«
    »Bist du doch!«
    Ken verliert die Lust an diesem Spiel ⁠…
    »Der Energiestoß ist der härteste Schlag ⁠… Dagegen hast du keine Chance«, belehrt man ihn.
    Ein flüchtiges Lächeln huscht über Kens Gesicht. Drohend rammt er den Zeigefinger ins Firmament: »Wehe dir, Ryu ⁠… Nun wird es dir schlecht ergehen!«, schreit er, während der Finger wie wild weiterfuchtelt, »Aus den Lüften wird er kommen ⁠… Zu richten die Häscher seines blondgelockten Sohnes!«
    »Wer?«
    »Der große, der schreckliche, der allmächtige MAGNUS VON BRAUN !«
    »Den gibt’s nicht.«
    »Natürlich gibt’s den!«
    Magnus von Braun fährt donnernd zur Erde nieder. Er ist der Raketenwerfer. Seine Munition unendlich. Mit ehrfürchtig gesenkter Stimme erzählt man sich von der Unfehlbarkeit seiner Geschosse.
    Das Aufeinanderprallen von Rakete und Ziel fällt heftiger aus als gedacht. Der gestürzte Ryu liegt wie ein Käfer auf dem Rücken. Von Braun betrachtet das erbärmliche Insekt voller Verachtung. Ihm fällt ein, dass Maikäfer angeblich wie Nüsse schmecken, und dass dieser hier, den die Feuersbrunst seines Raketenangriffs niedergestreckt hat, folglich nach gebrannten Mandeln riechen müsste. Er muss lachen.
    Der Käfer rührt sich noch immer nicht.
    Irgendetwas scheint verkrampft.
    JasminCelineJustines Körper krümmt sich seltsam. Tränen treten ihr in die weit aufgerissenen Augen.
    Sie kann nicht atmen.
    Sinnlos öffnet und schließt sich ihr Mund.
    Ich denke an den Goldfisch im angrenzenden Gartenteich.
    Es vergehen weitere Sekunden.
    Dann, endlich, das erlösende Japsen!
    Erleichtert beobachte ich die Heb- und Senkbewegungen ihrer Bauchdecke.
    Angesichts meines, sich soeben mühsam aufrappelnden, Rivalen verkneife ich mir eine abschließende Bemerkung über die durchschlagenden von Braunschen Kräfte. Ist schließlich offensichtlich, dass ihnen kein Gegner gewachsen ist.
    23.
    Wieder eine kleine Wucherung. Diesmal an der großen Zehe. Kein Wunder. Das viele Barfußlaufen auf den filzigen, schweißgetränkten Bodenmatten des Turnvereins hat nun mal gewisse Folgen ⁠…
    Wenn mich die Trainerin im Zuge der obligatorischen, zu Beginn jeder Einheit durchgeführten Dehnübungen in T-Form presst (wobei der rechtwinklig mit dem Querbalken der seitwärts ausgestreckten Beine verbundene Oberkörper den senkrechten Stamm des Ts bildet) und ich, im Versuch mich von den Schmerzen abzulenken, angestrengt die Mattenfasern fixiere, erstaunt mich die Tatsache, dass sich über jener nachgiebigen, ockergelben Fläche bisher keine Kruste, kein weiß-rosa Zuckerguss aus Hautschuppen, verfestigt hat.
    Nimmt man die Turnhalle genauer unter die Lupe, erklärt sich mein Erstaunen über den (krustenfreien) Zustand der Matte von selbst: Die Stätte der körperlichen Ertüchtigung entpuppt sich als gigantischer Schrein, Sammelstätte unzähliger Devotionalien. Auf den mit einem komplizierten Muster aus farbigen Linien verzierten Böden findet sich vieles.
    Mädchenlocken. Hautflocken. Nagelsplitter. Lidschattenglitter. Die Initialen junger Liebender in den Lederbezügen der Geräte. Am Sprungkasten kleben salzige Rotzkugeln, am Reck ein Hornhautrest. Der Magnesia-Klotz gehört allen. Man pudert sich die wundgeriebenen Handflächen. Schneeweiße Kreidestäubchen schlucken Wundwasser. Vollgesogen fallen sie hernieder. Der Boden bewölkt sich. Manche schwitzen. Anderswo Nasenbluten. Tropf, tropf.
    Doch zurück zur Zehe.
    Mein Fingernagel zerkratzt gelbliche Schichten. Ich bestaune den komplexen, mehrlagigen Aufbau der Warze. Streng betrachtet, denkt es in mir, ist doch das ganze Leben nichts weiter als eine Aneinanderreihung von Schmierinfektionen. Ständig dringt was ein. Kein Wunder. Überall weit offenstehende,

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