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Nachhinein

Nachhinein

Titel: Nachhinein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kraenzler
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pflügen meine Arme durch laue, mit Pollen und Blättern gewürzte Seesuppe. Weiter, weiter. Ich zähle: Noch vier Züge. Noch drei. Noch zwei ⁠… Die Erleichterung, wieder stehen zu können, ist groß. Erschöpfung und Glück verdrängen meinen ängstlichen Ekel vor dem unsichtbaren, mal kiesig-spitzigen, mal glitschig-weichen Grund mit Leichtigkeit. Froh, meine Glieder wieder wie gewohnt nutzen zu können, klettere ich zurück aufs Hölzerne, wo der Ägypter bereits still vor sich hintrocknet. Binnen Kurzem liegen wir nebeneinander: zwei aus den Fluten gerettete Königskinder, denen der Steg die Bäuche wärmt.
    Mein Badeanzug stempelt einen großen, LottaLuisaLuzia-förmigen Fleck auf das helle Holz. Glitzernde Wasserreste kleben auf meinen Armen wie Tautropfen. In ihren rundgeschliffenen, feuchten Oberflächen spiegelt sich nahes Schilf. Hohe Gräser, Zigarren aus Rohrkolben zwischen den schlanken Stängeln, schunkeln im Wind. Durchs Röhricht kursieren knisternd geflüsterte Botschaften.
    Aus dem einzelnen, freischwebenden Hustwölkchen von vorhin werden zwei, dann drei. Am Ende des Nachmittags schließlich deutet alles am Himmel auf eine schwere Bronchitis hin. Armer Drache.
    Minutenlang schwankt das Wetter. Dann schlägt es um. Plötzlich gedimmtes Sonnenlicht. Rauschende Bäume. Der See erzittert und sträubt seine Fläche. Blau war einmal.
    Der Himmel jetzt vollständig eingehüllt in grau-blau gebatikte Wolkentücher. Seine Ränder violett. Aus gelblich-schwärzlicher Ferne rollt dumpfes Grollen heran. Darauf der erste Tropfen.
    Hastig stopfen wir unsere Beutel.
    Dem ersten Tropfen folgen weitere. Bald sind sie überall. Aus Schlaglöchern werden kleine Teiche. In Straßengräben, Kanälen ohne Gondeln, fließt es Richtung Feld. Ein Gewirr gleißender Adern erhellt Wolkenbäuche, die aufplatzen wie Wasserbomben. Donnerfäuste erschlagen jedes Geräusch. Ich spüre mich laufen. Der Kies schweigt. Sandalensohlen kleben an meinen Füßen: vollgesogene Lederschwämme.
    Der Regen füllt die Schneisen zwischen den Bäumen mit Wassersäulen auf. Das Springen Tausender Spritzer. Verheulte, dampfende Fernsicht auf grün-braune Schemen. Die ersten Häuser sind noch weit.
    Von rechts greift jemand mein Handgelenk. Ich lasse mich vom Weg und unter die nächstbeste Baumkrone ziehen.
    Zwei Rücken pressen sich gegen glatte, bleigraue Rinde. Jungen- wie Mädchentorso durchsichtig-baumwollen verkleistert.
    Wir warten. Irgendwann tastet ein kleiner, gekrümmter Zeiger nach mir.
    Zwei fünfte Finger verhaken sich. Verharren fest verknotet, bis der Regen nachlässt.
    Als wir uns dem Dorf nähern, muss der Ägypter pinkeln. Obwohl ich versprochen habe, es nicht zu tun, drehe ich mich um und schaue zu. Dabei stelle ich fest, dass die Wiese zeitgleich von mehreren Bögen überspannt wird, von denen der kleinere gelblich plätschert, wohingegen der größere, majestätisch schweigend, allein die Farben sprechen lässt. Amüsiert lasse ich meinen Blick zwischen den beiden Bögen hin- und herpendeln ⁠… Meine These, dass die Körperflüssigkeiten Gottes regenbogenfarbig sind, hat bis heute keiner widerlegt.
    34.
    Blassblaue Tagebuchaufzeichnungen auf 80g/qm Recyclingpapier in Schreibheft (16 Blatt, DIN A5, Lineatur 1).
    »Oft träume ich, ich würde mich töten weil ich die Welt nicht mehr aushalte! Und außerdem drengt mich (jetzt) in der Brust irgendetwas was mir sagt : ›gehe weg von hier wandere einsam ohne Freunde genauso wie Ryu.‹ Er ist ein ewiger Wanderer auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Er kennt keine Freunde hatt kein Heim und hatt seine Familie verloren fast das gleiche Schicksal wie ich. Bloß ob ich das Talent habe, mich draußen zu ernähren? Schließlich bin ich nur in gewissen Dingen ein Naturtalent und schließlich bin ich nicht bei den Amys ausgebildet worden oder? Deshalb denke ich das ich trotz meiner Angst zuhause bleiben werde. Werde ich eben meinen Geburtstag alleine feiern.«
    35.
    Holz, Filz, Leder, Metall – kein Werkstoff, der nicht unter der feuchten Meeresluft gelitten hätte ⁠…
    Das Klavier steht in einem Raum mit Glasfront. Mein Blick gleitet ins Freie, fliegt über flache, zersprungene Außenfliesen bis zur steinernen Brüstung, welche die Veranda vom Strand trennt. Sonnenflecken fallen durch die Fenster aufs Instrument, das so trocken ist, wie man sich die Reisigzweige fürs Kaminfeuer wünscht.
    Das ist nicht immer so.
    Auch hier dreht sich die Erde. Rundherum in einem

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