Nachhinein
.
Gut, dass der Ägypter jetzt in seinem Beutel kruschtelt. Ich bin bereit für Ablenkendes. Für Überraschendes sowieso.
Die Plastiktüte, in der seine Hand herumknistert, ist blickdicht. Gespannt beobachte ich das Auftauchen seiner Rechten, der eine weißliche, kreisrunde Oblate zwischen Daumen und Zeigefinger klebt.
Dass es sich hierbei um keine gewöhnliche Backoblate handelt, erkenne ich auf den ersten Blick. Was da wie ein bleicher Mond über dem Rand der Plastiktüte aufgeht, ist vielmehr eine jener, von fleißigen Nonnen gebackenen, hochheiligen Hostien, deren Rückseite das Kreuzsymbol ziert. Aufgeregt grabsche ich nach der Tüte und staune nicht schlecht: Zwischen den Plastikwänden tummeln sich gut und gerne 30 Leiber Christi. Die Frage, ob das nun geweihte oder ungeweihte Leiber sind, erscheint mir zunächst unwichtig. Fest steht, dass sie allesamt aus jener geheimnisvollen, stets sorgfältig verschlossenen Schublade der Sakristei stammen, und ihr Raub eine großartige, mich zutiefst beeindruckende Meisterleistung darstellt.
Ich lasse mir von der Heldentat berichten:
Gestern Abend, nach der Laudes. Der Ägypter als Letzter in der Sakristei, absichtlich trödelnd. Draußen im Kirchhof der Dekan. Beschäftigt. Konzentriert auf die Sorgen seiner Schafe. Als die Mesnerin die Kerzen auslöschen geht, macht der Ägypter reiche Beute. Dann flüchtet er. So schnell war er noch nie zu Hause.
Mit respektvollem Schweigen lausche ich seiner Geschichte. Anschließend wird es Zeit für den Genuss der heiligen Gaben …
»Wetten, dass ich dir die Hostie ganz ohne Hände verabreichen kann?«, behaupte ich, während ich die Oblaten wie Casino Chips auftürme und mein bestes, undurchdringlichstes Pokerface aufsetze.
Obwohl mir der Ägypter ein solches Kunststück durchaus zutraut, wettet er dagegen.
Auf allen Vieren nähere ich mich seinen, schneiderartig verknoteten Beinen und setze mich auf die Fersen. Mädchenknie und Ägypterfußsohlen berühren sich. Es ist nicht mehr viel Luft zwischen uns. »Mach den Mund auf«, sage ich, und er tut’s.
Vorsichtig verklebe ich die Oblate mit dem Rosa meiner Zungenspitze, beuge mich vor und schleuse das Teigblättchen zwischen seine Lippen, wo seine Zunge das Brot, das ihn in Ewigkeit wird leben lassen, entgegennimmt. Vor mir krokodilgrünes Funkeln.
Erst als ich mich zurück auf die Fersen setze, kehrt meine Sehschärfe zurück, und ich erkenne das kleine Grinsen in seinem Gesicht. Er nimmt einen Hostienchip vom Turm, drückt ihn in meine rechte Handfläche und sagt: »Noch mal.«
Später teilen wir uns den Inhalt meiner Trinkflasche. Die Apfelschorle, vor zwei oder drei Tagen im Beutel vergessen, riecht ein bisschen wie Messwein …
Mit einem Mal habe ich genug von all den Heilsereignissen, stehe auf und stürze mich ins Wasser. Finger, Arme und Kopf gehen vor, der Rest folgt nach. Schon umgibt mich gelblich-bräunliche Kühle. Mit meiner sonnengetränkten Haut erwärme ich jeden Tropfen, der sich an mich klettet; ich, der Tauchsieder mit Froschbeinschlag. Über Schultern und Rücken schweben, leicht wie Quallen, lange Fangarme aus Haar. Der Grund ist längst außer Reichweite.
Leise plätschernd lege ich mich auf den Rücken und lasse mich liegend in die Mitte des wässrigen Auges treiben, das nicht blinzeln kann. Über mir schwimmt ein winziges Wölkchen; Ausstoß eines Drachens, der nicht zum Feuerspeien taugt.
Am Kopf angebrachte, abgetauchte Ohrmuscheln lauschen dem stummen Gesang von Karpfen und Hecht, Zander und Aal, Rotauge und Schleie; allesamt schuppige Zeugen unserer Sakramente auf dem Steg. Eucharistische Fische also, denke ich, und hoffe dennoch, dass sie die Flossen von mir lassen.
Der Wind schiebt mich an. Langsam ströme ich aufs Flachwasser zu, wo balzende Frösche auf herzförmigen Seerosenblättern sitzen und sich gewaltig aufblasen. Raffiniertes Rosenpack. Blütenweiße, vorgetäuschte Unschuld zwischen Lärm und Laich, heimlich verstrickt mit dem Schlamm der Tiefen. Mir macht ihr nichts vor! Ich kenne die Geschichten von Kinderbeinen, die, einmal von Wasserpflanzen gefesselt, für immer im See bleiben mussten. Hastig gemahne ich mich (schnell, schnell, bevor es zu spät sein könnte!) zur Umkehr.
Der Rückweg zum Steg ist weiter als gedacht.
Hörbar schneller Atem geht keuchend aus und ein. Sehnsuchtsvoll halte ich Ausschau nach dem Ufer, werfe Blicke wie Rettungsleinen Richtung Waldrand. Weiterkommen wird mühevoll. Angestrengt
Weitere Kostenlose Bücher