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Nachhinein

Nachhinein

Titel: Nachhinein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kraenzler
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fort, bis schließlich der Sommer einer anderen Jahreszeit weicht. Es folgen feuchte Brisen und heftige, meerwasserdurchmischte Schauer. Sprühregentröpfchen gehen durch Wände wie Gespenster; spuken Spritzer spuckend herum; befeuchten die Raumluft. Monatelang quellen Holz und Filz vor sich hin. Der Klavierkörper erduldet die klimatischen Launen der Küste ergeben. Lässt sich verschleißen.
    Inzwischen spielt es sich zäh. Sehr zäh.
    Linker Hand klemmen die Tasten, die Rechte erschrecken zwei lockere Cs. Meine Befürchtungen, was die inneren Verletzungen des Instruments angeht, sind schlimm. Ob Saiten, Stege, Stimmstock oder Resonanzboden – letztlich ist davon auszugehen, dass der Zerfall spätestens heute selbst das robusteste Bauteil erreicht hat und ehrgeizig dessen vollständige Zerstörung vorantreibt.
    Mein Spiel auf dem hinfälligen Instrument gleicht zärtlicher Pflege ⁠… Das Klavier als Greis mit Wackelzähnen, als Urahn, den ich vorsichtig, voller Respekt, anstupse und zehnfingrig auffordere, mir seine letzten Stücke zu schenken. Ich sitze, bin aufmerksam; spiele, streichle. Halte mein Gesicht gegen Meeres- und Himmelblau der Fensterfront und unterlasse die Geschmacklosigkeit, seine Gebrechlichkeit zu begaffen.
    Da ist noch mehr. Ich durchwühle einen Haufen erinnerter Schnipsel, sehe das Haus am Strand, das sterbende Piano und Salz, überall Salz. Spanien scheint verliebt. Wochenlang überwürzt es mir Haut und Haare. Duschend verdünnt wird nicht! Stattdessen helfe ich nach, indem ich die Finger in Säcken voll Salzmandeln gründeln lasse.
    Und außerdem?
    Eidechsen, die faul in der Sonne kleben. In Ufernähe beobachte ich eine Gruppe Seesterne, deren Körper aus den abgefallenen Schwänzen ihrer Echsenbrüder zusammengesetzt zu sein scheinen. Auch unter Wasser pflegen sie die Gewohnheiten ihres einstmals so trockenen Lebens und lungern, tagein, tagaus, auf denselben Steinen herum.
    Wir Strandhausbewohner verhalten uns ähnlich.
    Von Bade- und Wellengang ermüdet, folgen wir der verlässlich gleichbleibenden Route wandernder Schattenplätze, in denen wir uns, träge, faul, ganze Nachmittage lang ausstrecken. Besonders frappierend werden menschliche und tierische Gemeinsamkeiten, wenn wir in dem kleinen, rostigen Mietwagen die gewagt kurvige Küstenstraße entlang Richtung Markt tuckern und unsere schweißigen Häute binnen Minuten nicht weniger fest am kochend heißen Kunstleder kleben als jene Seesterne auf ihren angestammten Felsplätzen. Auf dem Rücken der grauen Straßenschlange, flankiert von Mittelmeerstreifen und orangefarbenen Zitruspunkten rollen wir einer Ansammlung weiß getünchter Häuser entgegen.
    In von Ständen verstopften Gassen wird die Vorsilbe »Wasser-« zum schlagenden Verkaufsargument. Ob Wasserkanister, Wassermelone, Wassereis oder -ball – wir kaufen!
    Dann Goldkettchen neben Käselaiben. Schinkenschwarten, hundertfach gespiegelt in bunten, billigen Sonnenbrillen. Meine Hand streift die kunstledernen Kanten gefälschter Taschen. Drei Schritte weiter erstarren Fischleichen auf eisigen Totenbetten. Gegen Mittag schmelzen die Früchte, werden pflaumenweich. Ganze Stände voll Datschi.
    Auch schön: Nacken und Nase meines Vaters im glühenden Rot spanischer Tomaten. Ich dagegen schmutzig braun, Schmuddelkind von Kopf bis Fuß; Kind meiner Mutter, die kein Sonnenstrahl, und sei er noch so südländisch, erröten lässt.
    Das Fleckchen Erde, auf dem wir den Sommer verbringen, scheint die Trophäe, nach der die Sonne jagt. In aller Herrgottsfrühe schon pirscht sie sich ran. Wirft all ihre Lichtangeln aus. Verhakt und verkrallt sich bis spät in die Nacht, deren Schwärze sie mittels ausgedehnter Dämmerungen sabotiert.
    Aber irgendwann, man rechnet längst nicht mehr damit, kommen sie dann doch, die halbdunklen Stunden, während derer ich mich, decken- und hüllenlos bis auf die Unterhose, auf bläulich-schimmernden Laken in den Schlaf wälze. Der Sandmann hat’s leicht, bedient sich am Fußende meines Bettes, wo noch immer quarzige Körnlein von meinen Zehen auf die Matratze rieseln. Die winzigen, mehrfarbigen Steinpartikel folgen ihren salzigen Brüdern in alle Ritzen und Winkel, sammeln sich in Taschen, Schuhen und unter Fingernägeln ⁠… Dass sie sich am Strand tatsächlich auf eine gemeinsame, je nach Tageszeit und Feuchtigkeitsgrad zwischen Braun, Beige, Gelb, Ocker und Weiß changierende Farbe einigen, verwundert.
    Mit jedem weiteren Atemzug nähere ich mich dem

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