Nachkriegskinder
Männer, die, wie sie sich ausdrückt, bis heute von der »Macke Nazi« nicht loskommen – die sich mit nichts anderem so intensiv beschäftigen wie mit dem Nationalsozialismus. Sie weiß: »Ich habe eine Affinität zu zugeknöpften schrulligen Männern, die sonst keiner so recht mag. Mit ihnen verbindet mich ein geschwisterliches Gefühl.« Dabei deutet sie auf den stumm arbeitenden Bildhauer, dessen Anwesenheit ich trotz seines Hämmerns vergessen habe.
Alles gescheiterte Liebesbeziehungen …
Für die gescheiterten Liebesbeziehungen möchte sie ihrem Vater nicht länger die Schuld geben. In ihr sei vor allem ein tiefes Bedauern, weil es keine wirklich guten Erinnerungen gebe, sagt sie. Haften geblieben sei eben nur der ewige Streit. Alles, was sie im Nachhinein über ihn gesammelt habe, sei kein Wissen sondern Interpretation. »Darum bin ich so traurig, dass ich mit meinem Vater nicht mehr darüber reden kann.«
Iris Mallek begleitet mich zum Bahnhof. Auf dem Weg erfahre ich von ihr eine letzte Geschichte. Es ist noch nicht lange her, da belauschte sie im Zugabteil einen älteren Mann und eine jüngere Frau. Es handelte sich um Vater und Tochter, die, wie sich später herausstellte, gemeinsam zu einer Tagung fuhren. Zwischen den beiden entwickelte sich ein anregender Austausch. Die etwa dreißigjährige Tochter sagte, sie müsse nun an ihrer Schule Beratungsgespräche mit Eltern führen. Aber bevor sie dazu Fachliteratur lese, würde sie gern seine berufliche Erfahrung anzapfen. Ob er ihr sagen könne, was dabei die wichtigsten Punkte seien. Wie man ein Gespräch eröffne? Wie man am geschicktesten das |79| Anliegen der Klienten kläre? Mit welcher Art von Fragen man die Leute verschrecke?
Was Iris Mallek am meisten verblüffte: Das Gespräch zwischen Vater und Tochter fand in völlig entspannter Atmosphäre statt. Hier Zeugin gewesen zu sein, entfachte in ihr eine Sehnsucht, die sie sich noch nie gestattet hatte. Genau so einen Vater hätte sie gebraucht. Einer, von dessen Erfahrung sie ganz selbstverständlich hätte profitieren können. Einer, der ihr gezeigt hätte, wie sie – zum Beispiel – Ordnung in ihr chronisches Finanzchaos bringen könnte. Als sie eine Stunde später in ihrer Stadt aus dem Zug stieg und mit schweren Taschen an beiden Händen das Gleis entlangging, liefen ihr Tränen über das Gesicht.
Soldatenväter und Feminismus
Seit ich Anfang der 1970er Jahre in New York die Frauenbewegung kennen lernte, die nur kurze Zeit später auch in Westdeutschland erwachte, machte ich mir Gedanken über die nationalen Unterschiede. Warum waren Feministinnen in den USA eher pragmatisch und in der Bundesrepublik eher rigide? Warum agierten die Amerikanerinnen mit viel Spaß und Provokation, zum Beispiel, indem sie sich öffentlich über prominente Macho-Männer lustig machten, während deutsche Frauen schnell ins Ideologische abglitten und sich auf verbissene Debatten einließen. Und warum ging den westdeutschen Feministinnen der Ruf »Männer raus!« so leicht über die Lippen, als hätten sie ihn schon Jahrzehnte lang heimlich geübt?
Der Grund lag wohl vor allem in den schlechten Erfahrungen mit den deutschen Kriegsvätern, die noch nicht in der Zivilgesellschaft angekommen waren, Männer, die im Kommandoton sprachen und die sich, in Ermangelung militärischer Untergebener, von Ehefrauen und Töchtern bedienen ließen. Darin sehe ich inzwischen auch einen misslungenen Versuch, den verlorenen |80| Selbstwert als Folge eines verlorenen Krieges zu kompensieren. Man darf nicht alles dem traditionellen Rollenklischee in die Schuhe schieben.
An dieser Stelle möchte ich von einem unvergesslichen Anruf aus New York erzählen. Er liegt fast vierzig Jahre zurück. Meine amerikanische Freundin war völlig aus dem Häuschen. Sie, die bei der feministischen Zeitschrift »Ms. Magazine« arbeitete, hatte gerade auf einem Verlagsempfang mit »Heinrich« gesprochen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, wer damit gemeint war: Heinrich Böll, der spätere Nobelpreisträger der Literatur. Meine Freundin schwärmte, wie bescheiden »Heinrich« sei, wie menschenfreundlich und wie sanft. »What a man!« rief sie enthusiastisch. Dann kam sie auf eine von Bölls Heldinnen, auf »Leni« zu sprechen und sie rief: »What a wonderful female character!« Ich war verwirrt, denn ich konnte mich nicht entsinnen, dass Heinrich Böll im deutschen Feminismus wegen seiner anderen Sicht auf Frauen gelobt worden wäre.
Auch mir
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