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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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sie von Panzern geträumt hatte. Wie war das möglich? Panzer waren bis dahin in ihrer Welt überhaupt nicht vorgekommen; im Elternhaus hatte es keinen Fernsehapparat gegeben.
    Inzwischen fragt sie sich, ob sie die Alpträume von ihren Eltern geerbt haben könnte – entsprechend der Angst, die viele Nachgeborene überfällt, wenn bei einem Probealarm die Sirene ertönt. Werden womöglich nicht nur Gefühle, sondern manchmal auch Bilder an die Nachkommen weitergegeben? Bei Fernsehbeiträgen über Afghanistan-Traumatisierte falle ihr sofort der |74| Vater ein, sagt Iris. In der letzten Zeit denke sie mehr an ihren Vater als jemals vorher. »Ich glaube, ich kann erst heute vom Gefühl her erfassen, warum er so war, wie er war.«
    Iris nennt ihn einen »Diktator«. Auch Erich Mallek strapazierte den Satz, womit viele Soldatenväter den Widerstand ihrer heranwachsenden Kinder niederzubrüllen versuchten: »So lange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, geschieht, was
ich
sage!« Alle sollten nach seiner Pfeife tanzen. Um viertel vor eins musste das Mittagessen auf dem Tisch stehen. Kam es eine Minute später, begann der Hausherr zu toben. Die Tochter schildert Verhältnisse, wo Frauen das nachbeten, was ihre Männer sagen und wo Frauen die Partei wählen, die ihre Männer wählen. Iris erinnert sich daran, dass in den sechziger Jahren die Berufstätigkeit von Frauen öffentlich diskutiert wurde. Vaters empörte Reaktion: »Das kann doch kein Sozialstaat sein, wenn Frauen arbeiten müssen!«

Der Neffe wurde den Töchtern vorgezogen
    Erich Mallek hatte seinen in der Nachbarschaft lebenden Neffen Jochen den Töchtern vorgezogen. Mit ihm unternahm er ausgedehnte Wanderungen. Mit ihm unterhielt er sich gern. Männergespräche. Jochen wusste sie zu schätzen. Oft hörte Iris, wie der Jugendliche den Älteren aufforderte: »Komm Erich, lass uns wieder für 50 Pfennig diskutieren.«
    Iris litt, weil sie als Mädchen nicht ernst genommen wurde – nicht würdig genug war, um Vaters wohlwollende Aufmerksamkeit zu verdienen. Das schwäche sie bis heute, glaubt sie, an Selbstbewusstsein und Vertrauen ins Leben habe es ihr immer gemangelt. »Mit dem Vater gab es nur die Sonntagsspaziergänge, alle fein angezogen«, berichtet sie. »Wir mussten Beeren pflücken, was ich furchtbar fand.« Ihr Vater sei auch viel allein im Wald gewesen, erinnert sie sich. »Dorthin ist er regelrecht geflüchtet, wenn ihm alles zu viel wurde. Er war ja immer voller Spannung |75| und hat wie ein Schlot geraucht. Ich habe ihn nie entspannt erlebt.« Doch das Merkwürdige ist: Obwohl er keine Widerworte duldete und seinen Töchtern das Naturerlebnis an jedem Sonntag geradezu aufzwang, profitiert seine Älteste bis heute davon. Erich Mallek kannte jeden Baum und jeden Felsen »Trotz des Drucks hat er mir einen guten Naturbezug vermittelt«, sagt sie »Dass ich weiß, wie Bäume heißen, dass ich weiß, welcher Vogel da fliegt, das hab ich von meinem Vater …« Ihre Stimme wird zittrig. »Gleich fange ich an zu heulen …« Iris Mallek schenkt mir Tee nach, was sie ein bisschen beruhigt.
    Noch etwas anderes sei positiv gewesen, fällt ihr plötzlich ein. Er habe seine Kinder zu Höflichkeit und Rücksichtnahme erzogen. Nein, dies finde sie heute absolut nicht altmodisch, sondern richtig und notwendig. Sie würde ihren Vater sogar als liberal bezeichnen. Der hätte, würde er noch leben, gewiss weniger Vorurteile als sie – sie finde muslimische Frauen mit Kopftuch unerträglich.
    Erich Mallek mochte keine Leute mit Standesdünkel. Für ihn sind alle Menschen gleich gewesen, für ihn gab es kein Oben und Unten. Nur für die Frauen seiner engsten Umgebung galt das nicht. Die hatten sich ihm unterzuordnen. Iris berichtet von einer Situation, die fast vierzig Jahre zurückliegt. Zu Ostern trafen sich die vier Schwestern, die inzwischen alle in der Großstadt lebten, in ihrem Elternhaus. Wenn sie mit ihrer Stiefmutter zusammensaßen, gab es immer viel zu erzählen. Plötzlich riss der Vater die Tür auf und brüllte: »Vier Weiber hocken einfach zusammen und quatschen, dabei ist nicht mal die Treppe geputzt!« Seine Älteste stand auf und brüllte zurück: »Hättest ja die Treppe selber putzen können, anstatt auf deinem faulen Hintern zu sitzen.«
    Seit Iris ihr Elternhaus verlassen hatte, ließ sie sich von ihrem Vater nicht mehr einschüchtern. Sie fühlte sich genau so stark wie er, und manchmal sogar stärker. Die Tochter konnte ungeheuer wütend

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