Nachkriegskinder
werden, wenn er seine Frau vor anderen demütigte. Eines Tages, bei einem Kaffeetrinken mit Verwandten, war Erich Mallek |76| ganz besonders übler Laune, und ein Regen von Beleidigungen ging auf seine Frau nieder. »Niemand kam meiner Stiefmutter zur Hilfe«, erinnert sich Iris. »Da bin ich ausgerastet und habe ihn angebrüllt: ›Weißt du, warum ich keinen Mann gefunden habe? Weil ich so ein Arschloch als Vater habe!‹ – Da wurde er aschfahl und verließ den Raum.«
Der Gedanke war selbst für Iris völlig neu, und er entsprach der Wahrheit. Der Satz kam aus den tiefsten Tiefen – sie hatte ihn regelrecht erbrochen. Aber die Wahrheit half ihr nicht weiter. Am Grundproblem, an ihrem Misstrauen gegenüber Männern, änderte diese Erkenntnis nichts. »Das Männerbild, das mein Vater mir hinterließ, war eine Katastrophe«, stellt sie fest: »Wenn ich mich in einen Mann verliebte, musste der genau das Gegenteil von meinem Vater sein. Wehe, da ist jemand aufgebraust oder er wollte unbedingt Recht behalten oder er wollte faul sein und sich bedienen lassen … Was ich damit sagen will: Wenn ein Mann nur einen einzigen Funken des Verhaltens meines Vaters zeigte – dann war es von meiner Seite vorbei.« Anderseits, erklärt sie mir, habe sie auch keine Weicheier geschätzt, die zu allem Ja und Amen sagen, sondern der Mann, den sie sich wünschte, sollte ruhig und souverän sein.
Ich sage ihr, ein so perfektes Exemplar sei mir noch nicht über den Weg gelaufen. Und dann frage ich sie, wie das denn funktionieren solle: Alle Frauen und Männer ihrer Generation seien mehr oder weniger in Rollenklischees gebadet worden. In jedem Mann, der Karl May und Jerry Cotton – wo Frauen bekanntlich nie eine Rolle spielten – verschlungen habe, stecke ein Macho-Reflex, der noch heute gelegentlich aufblitze …
Bloß keinen Mann wie meinen Vater!
»Es funktioniert eben nicht«, unterbricht sie mich. »Deshalb habe ich ja auch keinen abgekriegt.« Sie lacht auf. Ihre absurden Muster sind ihr bekannt. Sie hätte genauso Grund zu weinen, denn |77| das Tragische ist: Auch bei Iris haben sich bestimmte Reflexe tief eingebrannt. Sie geht sofort auf die Hinterbeine, wenn sie befürchtet, ein Mann könne sie so behandeln, wie der Vater es tat. Diesbezüglich hat ihr das Leben noch keine Gelassenheit geschenkt.
Seit zehn Jahren ist Iris Mallek ohne Freund oder Lebensgefährten. »Mein Vater war mein Trainingscamp«, sagt sie. »Hier habe ich gelernt, mich gegen Männer durchzusetzen. Aber ich habe nicht gelernt, Männern zu vertrauen.« Um einem Mann zu vertrauen, müsste sie mehr Selbstvertrauen besitzen. Das aber hat ihr Vater verhindert, indem er sich ihr und ihren Schwestern gegenüber nie solidarisch zeigte und sich bei Konflikten in der Schule stets auf die Seite der Lehrer stellte. Er lobte nie, sondern machte Iris nieder: »Aus dir wird nie was«. Jahre später erfuhr sie von Verwandten, wie stolz er immer von seinen Töchtern erzählt habe.
Sie glaubt inzwischen, dass er tatsächlich so empfand. Sie erinnert sich, wie er zur Premiere des ersten Theaterstücks angereist kam. Zwar habe er mit dem Bühnenbild nichts anfangen können, da hätten ihm die Kriterien gefehlt, aber die allgemeine Anerkennung für seine Künstler-Tochter habe ihm, wenn sie es richtig interpretiere, doch gut getan. »Mein Vater konnte nicht zeigen, wenn er sich freute, und ich glaube, das ist ihm im Krieg abhanden gekommen«, erklärt sie. «Das versteht man erst, wenn man viel, viel älter ist. Wir Töchter haben ihm mal zu Weihnachten einen Durchlauferhitzer geschenkt. Den hat er an Heilig Abend noch anmontiert, das war ein Zeichen seiner großen Freude. Weiß ich heute. Damals haben wir gedacht: Der spinnt.«
Trotz ihrer Erfahrung mit einem ausgeprägten Macho-Vater wurde Iris Mallek keine Feministin. Sie fühlte sich nicht von Männern bedroht. Sie hatte sich nicht von Männern unterdrücken lassen. Sie kannte keine finanzielle oder sonstige Abhängigkeit. Ihre Devise lautete: »Man braucht nur einen Mann fürs Herz. Aber darüber hinaus braucht man keinen Mann.« Ihre Kinderlosigkeit |78| bedauert sie nicht. »Ich hab irgendwo gewusst, mein Leben würde chaotisch sein.« Der Umgang mit Kindern hat sich bei ihr auf andere Weise entwickelt. Viele erwachsene Kinder ihrer Freundinnen gehören heute zu ihren Wahlverwandten. Ihr Freundeskreis ist groß und die Beziehungen sind stabil. Manche Kontakte existieren seit ihrer Studienzeit, darunter ein paar
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