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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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gutes Gespräch geführt zu haben. Sich auszutauschen oder mit anderen über ein Thema zu reflektieren, gehörte nicht zu seinem Wesen. Er war Kettenraucher. Den Zustand des Entspannt seins kannte er nicht, selbst dann nicht, wenn er stundenlang auf dem Ansitz saß. Da sei es ja um Wettkampf gegangen, erklärt seine Tochter, er habe einen bestimmten Bock erlegen wollen. Anton Werk starb mit 85 Jahren. Als die Familie und andere Trauergäste nach seiner Beerdigung zusammensaßen und von ihm erzählten, ergab seine anarchistische Seite reichlich Gesprächsstoff: Wie er in den Sechzigern von einem Autofahrer geschnitten wurde, worauf Anton in ein Rennen einstieg und seinem Gegner beim Überholen so nah kam, dass er ihm den Autospiegel abfuhr. Wie er nacheinander für seine Kinder Häuser baute, jedes Mal ohne Baugenehmigung, was jedes Mal zu einem Baustopp führte.
    »Er hielt sich nicht an Vorschriften, die ihm nicht einleuchteten«, erläutert seine Tochter. »Er hielt es nicht aus, wenn andere über ihn bestimmten, das war schon vor dem Krieg so. Als jüngerer Bruder hat er sich gegen die Bevormundung der älteren zur Wehr gesetzt. Er ließ sich wirklich von keinem etwas sagen. Vermutlich ist er deshalb in der Wehrmacht nicht aufgestiegen.« Die Frauen, fügt Marion hinzu, hätten ihn sehr gemocht und oft auch bewundert. Anton Werk war eben ein Kerl. Ein Mannsbild, würde man in Bayern sagen.
    Kaum jemand wagte es, sich ihm in den Weg zu stellen. Schon wenige Jahre nach dem Krieg begann sein Aufstieg im Baugeschäft. Seine berufliche Wiedereingliederung war, wie bei so vielen Männern seines Alters, eine Erfolgsgeschichte. Freunde hatte er nicht. Er traf sich auch nicht mit ehemaligen Kameraden aus der Wehrmacht. »Für Menschen interessierte er sich im Grunde überhaupt nicht«, beschreibt ihn Marion. »Es gab Leute, die er täglich im Gasthaus sah, doch kannte er gerade mal deren Vornamen. |91| Ihm war nur wichtig, dass sie keine Anforderungen an ihn stellten und sich über Freibier freuten.« Bei den anderen Gästen handelte es sich überwiegend um arme Schlucker, auch Obdachlose. Als Jugendliche hatte sich seine Älteste manchmal seines Umgangs geschämt.

Großer Abstand zu anderen Menschen
    Menschen gegenüber hielt Anton Werk also zeitlebens Abstand, selbst wenn es sich um seine Frau und seine Kinder handelte. Niemand durfte ihn daran hindern, so zu leben, wie er es für richtig hielt. In der Familie war sein Wort Gesetz. Nie hätte er seinen Kindern zuliebe einen Sonntagsausflug gemacht. Nie hätte er seine Pläne geändert, um seine Frau nach einem Großeinkauf in der Stadt abzuholen und heimzufahren. Sollte sie doch den Bus nehmen … »Wenn so jemand und ich verheiratet gewesen wären«, sagt Marion trocken, »dann wäre einer von uns beiden bald tot gewesen.« Im Grunde, glaubt sie, langweilten ihn die Alltagsgeschehnisse und die kleinen Nöte eines Familienlebens. Es interessierten ihn auch keine Details aus der Schule, keine Hausaufgaben. Seine Mädchen sollten einen Abschluss machen, möglichst das Abitur, ansonsten wollte er mit Schulthemen nicht behelligt werden. Einmal bekam Marion einen blauen Brief. Darin stand, die Versetzung der Tochter sei wegen Schwächen in Mathematik gefährdet. Hier endlich wurde der Vater aktiv. »Aber es war für die ganze Familie ein Drama, wenn ich abends mit ihm Bruchrechnen üben musste«, erinnert sich die Tochter. »Vater hörte nicht auf zu brüllen. Er hatte null Geduld und war natürlich ein Choleriker. – Die Mutter hat ihm nie wieder blaue Briefe gezeigt.« Aber es gab auch eine andere Seite. Eines Tages wurde Marion beim Stehlen erwischt – ein Päckchen Gummibärchen. Da brüllte er nicht. Er weinte vor Entsetzen. Seine Tochter – eine Diebin!
    Obwohl überwiegend ein abwesender Vater, war ihm seine |92| Familie überaus wichtig. Nie hätte er sich scheiden lassen. Wenn er, was selten genug geschah, einen halben oder gar ganzen Tag zu Hause verbrachte, dann zog er sich keineswegs zurück. Offenbar gefiel ihm der Trubel in einem großen Haushalt, er mochte es, wenn Frau und Kinder ihn umgaben – das war er gewohnt, stammte er doch selbst aus einer großen Familie. Als seine Älteste ihm eines Tages mitteilte, sie werde heiraten und mit ihrem Mann im nächsten Ort eine eigene Wohnung beziehen, brach für Anton Werk eine Welt zusammen und er reagierte mit Verweigerung: Nein, er werde nicht zur Hochzeit kommen, nein, es werde keinen Polterabend in seinem Haus

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