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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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können, aber sie haben das, was sie sahen, nicht interpretiert. Und das kann man verallgemeinern: Die Dinge in einen großen Kontext zu stellen und daraus auch Handlung abzuleiten, das machen wohl nur die allerwenigsten Menschen – damals wie heute.
     
    Das ist nachvollziehbar. Aber sie hätten doch im Nachhinein davon abrücken können. Warum hielten die meisten ehemaligen Soldaten an ihrer alten Sichtweise fest?
    Die meisten Veteranen hätten ihre Sicht im Rückblick ändern können, sie hätten sich entsprechend informieren können, sie taten es aber nicht, weil damit ihre Sinnkonstruktion zusammenbrechen würde. Darum wurde auch die Wehrmachtausstellung so heftig attackiert. Die Forschung hat in unendlich vielen Studien nachgewiesen, dass die Wehrmacht ein integraler Bestandteil des verbrecherischen Krieges gewesen ist. Die Wehrmachtführung hat sich als ausführendes Organ Hitlers gesehen. Die konservativen Generäle mussten nicht zum Vernichtungskrieg im Osten getrieben werden, Hitler musste keine NS-Generäle einsetzen, sondern er hat die altkonservativen preußischen Generäle eingesetzt, und die haben diesen Krieg so geführt, wie Hitler sich das vorgestellt hat – der eine mehr, der andere weniger, aber sie haben eben ihre Handlungsspielräume nicht dazu genutzt abzumildern, abzufedern.
     
    Aber es gab doch Ausnahmen?
    Unter den Generälen gab es nur ganz wenige Ausnahmen. Je höher man kam, umso mehr hat man im Sinne des Systems gearbeitet – völlig unabhängig davon, ob die Leute Nazis waren oder deutschnational. Man musste auch kein Antisemit sein, um Juden umzubringen – ich rede hier von den Tätern. Natürlich gab es viele Leute, die das abgeschreckt hat, aber sie haben eben mitgemacht. Das ist ein entscheidender Punkt. In den Handlungen war |189| die Wehrmacht ziemlich konform, in den Wahrnehmungen und Deutungen war sie durchaus unterschiedlich. Aber entscheidend sind nun mal die Handlungen. Die Wehrmacht war Teil des verbrecherischen Systems.
     
    Konnte man sich dem als einfacher Soldat entziehen? Nehmen wir als Beispiel die Niederschlagung des Aufstandes im Warschauer Ghetto. Wie kam es überhaupt, dass Wehrmachteinheiten beteiligt wurden?
    Der Ghettoaufstand im April 1943 kam ja für die Deutschen völlig überraschend, auch mit einer für sie unerwarteten Gewalteruption, und da musste man genügend Leute haben. Da hat man sich geholt, wer gerade greifbar war. Es waren SS-Truppen dabei, aber eben auch Wehrmachteinheiten.
     
    Hätte man als zwanzigjähriger Soldat den Einsatz verweigern können?
    Theoretisch ja, praktisch nein. Theoretisch ja, denn es gab immer Auswege. Hätte sich jemand geweigert, wäre er strafversetzt worden, er wäre aber am Leben geblieben. Praktisch nein. Einen Befehl zu verweigern ist in dem damaligen Rahmen nicht vorstellbar gewesen. Im April 1943, als noch alles intakt war und das Leben selber nicht bedroht war, in dieser Situation einen Befehl zu verweigern, ist für 99,9 Prozent der ganz normalen Männer nicht vorstellbar gewesen. Warum ist das so gewesen? Weil der militärische Rahmen Pflichterfüllung und Befehlsgehorsam so stark war und weil ja Menschen gerade im Krieg auf den sozialen Kontext angewiesen sind. Schauen wir uns heute die Politik an: Wo ist denn der Abgeordnete, der offen gegen seine eigene Fraktion auftritt?
     
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Der Vergleich irritiert mich etwas …
    Als Nachgeborene sehen Sie das natürlich anders: Da geht es um die Ermordung Tausender von Menschen, was ist das gegen die Isolation aus der eigenen Gruppe, das muss man doch wohl hinnehmen können … Und da muss man sagen: Die Verhaltensweisen von Menschen, ob im Frieden oder im Krieg sind hier ähnlich. Auch wenn es um den Tod von Millionen Menschen geht, ist das Entscheidende nicht der Tod von Millionen Menschen, sondern wie ich mich selber sozial fühle, wie ich in meinen sozialen Rahmen integriert bin. Es ist das Erschreckende, das zu der Haltung führt: Ich sag lieber nichts, ich beteilige mich lieber am Massenmord, aber dafür bleibe ich in meiner Gruppe akzeptiert.
     
    Gelegentlich tauchen bei meinen Lesungen Menschen auf, die sagen: Mein Vater war bei der Waffen-SS, und der hat nichts Schlimmes getan. Was soll ich davon halten?
    Die Waffen-SS war immer ein integraler Bestandteil der »SS-Fa milie «. Und die Angehörigen der Waffen-SS waren eben nicht nur Kämpfer an der Front. In vielen Fällen zeigte sich: Es gab einen turnusmäßigen Wechsel von den KZs hin zur Waffen-SS.

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