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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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zurück, als ich das Buch »Soldaten« las. Zuweilen stand ich regelrecht unter Schock und musste mich zum Weiterlesen zwingen. Meine Abwehr wuchs von Tag zu Tag, immer wieder schlief ich über dem Buch ein. Und immer häufiger |193| kam mir der Gedanke: So etwas will man über die eigenen Eltern nicht wissen. Die Wahrheit hätten wir als junge Menschen nicht verkraftet. Muss man diesen Vätern für ihr Schweigen danken?

|195| Sechstes Kapitel
Die DDR-Variante
    |197| Bei Gefahr rückt die Familie zusammen
    Brunhild Bomberg erzählt gern von ihrer Kindheit in den fünfziger Jahren, und es ist schön ihr zuzuhören. Irgendwann werden ihre Enkel sagen: »Oma erzähl doch noch mal, wie deine Mama dich verhauen wollte …«. Und Großmutter wird die Szene beschreiben, wie sie als Kind der Mutter entwischte und zu ihrer eigenen Großmutter lief, wie diese ihr kleines Hinterteil mit einem Kissen polsterte und meinte: »Nun lauf schon zurück. Jetzt kann dir nicht mehr viel passieren.« Und vermutlich werden die Enkel auch diese Geschichte mögen: wie kurios sich die Großen bei Gewitter benahmen: wie sie im Treppenhaus auf den Stufen hockten – Vater, Mutter, Großeltern, Tanten, Urgroßmutter – und wie jeder eine Mappe mit seinen wichtigsten Papieren an sich drückte. Die kleine Brunhild, ein selbstbewusstes, wildes Mädchen, hatte keine Angst vor Blitz und Donner, sie wunderte sich nur über die beklommene Stimmung. Als sie älter wurde, kam ihr der Gedanke, die Erwachsenen hätten eine Angewohnheit aus dem Krieg beibehalten, aus den Zeiten im Keller, während die Bomben fielen. Überschrift: Bei Gefahr rückt die Familie eng zusammen.
    In Brunhilds Kindheit gab es ein viel schöneres Zusammenrücken. Wenn sie und ihr Vater zur selben Zeit krank wurden, packte die Mutter sie gemeinsam ins Ehebett, und damit begann für beide eine wunderbare Zeit: Radio hören, Geschichten vorlesen, gut versorgt werden, sich gesund schlafen.
    Brunhild Bombergs Schilderungen aus der Provinz machen auch typische DDR-Begebenheiten wieder lebendig. Man erfährt, die Männer ihrer Familie hätten noch bis Anfang der sechziger Jahre nachts im Garten Wache gehalten, um die Ernte vor Russen zu schützen. Einmal wurde der Hund mit Leuchtkugeln beschossen; |198| danach war er als Wachhund nicht mehr zu gebrauchen. Doch Brunhild erlebte bei ihren Eltern keinerlei Ressentiments gegenüber den einfachen russischen Soldaten. Mutter und Vater wussten, wie miserabel die Mannschaften versorgt wurden und dass die Alternative zu Stehlen Hungern bedeutete.

Stalingrad: auf 35 Kilo abgemagert
    Brunhilds Vater kannte sich mit Hunger aus. Er war Soldat in Stalingrad gewesen. Eine der letzten Maschinen hatte den Verwundeten ausgeflogen – völlig entkräftet, auf 35 Kilo abgemagert, Durchschuss am Bein. Die Tochter glaubt, dass es ihm recht gut gelang, seine Kriegstraumata auf Abstand zu halten. Bis zu ihrem neunten Lebensjahr schlief sie im Elternzimmer, daher weiß sie: »Vater hatte einen ruhigen Schlaf. Von Alpträumen hat er nie erzählt. Aber am Ende seines Lebens hat ihn der Krieg wieder eingeholt.«
    Helmut Rudow* war Schreiner. Bemerkenswert ist, dass es ihm gelang, den Familienbetrieb vor dem Zugriff der Produktionsgenossenschaft des Handwerks zu schützen. Alle Versuche, sich die private Werkstatt einzuverleiben, scheiterten letztlich an Rudows Beharrlichkeit. Oft kamen keine Aufträge mehr von VEB-Betrie ben , damit wollte man ihn zwingen aufzugeben. Der Schreiner blieb stur und damit sein eigener Herr, doch eine gewisse Bedrohung hielt über Jahrzehnte an. Helmut Rudow, geboren 1918, war ein Mann mit festen Grundsätzen. Als sein Sohn in der neunten Klasse der paramilitärischen GTS, der Gesellschaft für Sport und Technik, beitreten sollte, wo unter anderem Schießübungen gemacht wurden, erteilte der Vater dem zuständigen Lehrer eine deutliche Absage: »Mein Sohn fasst in diesem Alter keine Waffe an.«
    Brunhild Bomberg, 1950 geboren, verheiratet, zwei Kinder, lebt in Ostberlin. Während unseres Gesprächs lerne ich eine lupenreine Helferin kennen, ideenreich und ausdauernd, mit einem |199| großen Herzen für gesellschaftliche Außenseiter. Gern spricht sie über ihre Arbeit mit geistig Behinderten. Sie selbst hatte in einer kirchlichen Einrichtung ein kreatives Förderungsprogramm entwickelt. Natürlich wusste sie von den westdeutschen Behindertenwerkstätten, von den dort üblichen genormten Arbeitsabläufen, und war froh darüber, dass

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