Nachricht von dir
kroch, trat er ans Fenster und blickte hinaus. Draußen schneite es noch immer. Ein zehn Zentimeter dicker weißer Teppich bedeckte Bürgersteige und Straßen. Wo mochte Alice jetzt bei dieser Kälte sein? War sie überhaupt noch am Leben? Würde es ihnen gelingen, sie aus ihrer Hölle zu befreien?
Man musste realistisch sein: Die Dinge waren schlecht gelaufen. Nach dem Tod von Blythe war es äußerst fraglich, ob sie Alices Aufenthaltsort finden würden.
Madelines Worte kamen ihm wieder in den Sinn wie ein warnendes Vorzeichen: »Diese Geschichte hat blutig begonnen, und sie wird blutig enden.«
Er konnte noch nicht wissen, wie recht sie damit hatte.
Lagerhaus in Coney Island
2 Uhr nachts
In der Stille des eiskalten Verlieses waren nur die rauen, keuchenden Atemzüge zu hören.
Die Kälte hatte Alice aufgeweckt. Die Kälte und der Schmerz. Ein stechender Schmerz, der sich bei der geringsten Bewegung in ihre Nieren bohrte. Auf der rechten Seite ausgestreckt, war diese Körperhälfte so taub geworden, dass sie sie fast nicht mehr spürte. Das Blut hämmerte gegen ihre Schläfen, und zu ihren Kopfschmerzen gesellten sich Schwindelgefühl und Herzklopfen.
Sie hustete, um ihre Bronchien vom Schleim zu befreien, versuchte zu schlucken, hatte aber den Eindruck, ihre Zunge sei hart und trocken wie Gips geworden.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit seit ihrer Entführung vergangen war. Wenige Stunden? Ein Tag? Vielleicht zwei? Sie hatte ständig das Gefühl, urinieren zu müssen, doch die Muskeln ihrer Blase waren wie gelähmt.
Außerdem glaubte sie zu ersticken. Ihre Gedanken waren wirr, ihr Blick getrübt, das Fieber führte zu Wahnvorstellungen. Sie phantasierte, eine Riesenratte würde an ihrem Bauch nagen, während sich der lange schuppige Schwanz um ihren Hals legte, um sie zu erwürgen.
8 Uhr morgens
»Aufstehen!«
Jonathan öffnete ein Auge und hatte Mühe, richtig wach zu werden.
»Aufstehen!«, wiederholte Madeline. »Wir müssen los.«
Ein milchiges Licht drang durch das Fenster; es dämmerte.
Jonathan unterdrückte ein Gähnen und verließ nur widerwillig das warme Bett. Madeline war bereits angezogen. Obwohl diese Nacht kurz gewesen war, war sie entschlossener denn je.
Als er auf den Flur trat, der zum Badezimmer führte, warf sie ihm seine Sachen zu.
»Duschen kannst du ein andermal! Wir haben es eilig.«
Sie verließen das Haus, nachdem sie ihrer Wirtin ein paar Scheine hingelegt hatten. An diesem Morgen war die Schneedecke, die New York überzog, mindestens zwanzig Zentimeter dick. Die Leute fegten die Bürgersteige vor ihren Eingängen frei. Die städtischen Angestellten streuten Salz auf die Fahrbahnen, und in der Bowery räumte ein riesiger Schneepflug die Straße und hinterließ dabei zu beiden Seiten Schneeberge, unter denen Fahrräder und geparkte Autos verschwanden.
Sie fanden den Pontiac, nahmen ihre Handys wieder an sich und setzten ihren Weg zum Peels , ihrem neuen Hauptquartier, fort.
Wegen des Schnees und der frühen Morgenstunde war das Café nur spärlich besucht. Sie nahmen am selben Tisch wie am Vortag Platz und bestellten jeder Kaffee und Müsli mit Joghurt.
Da es nirgendwo einen Fernseher gab, zog Madeline den Laptop aus der Tasche und ging ins Internet.
»Welches ist hier der seriöseste Info-Kanal?«
»Versuch es mit NY 1 News.«
Madeline klickte die Seite an. Sie öffnete sich mit einem Videofilm – NY1 Minute –, in dem die Neuigkeiten des Tages in sechzig Sekunden zusammengefasst wurden. Während drei Viertel der Zeit den unerwarteten Schneefällen gewidmet waren, die ganz New York zu lähmen drohten, handelte der letzte Teil von dem mysteriösen Mord an einem Marshal der Vereinigten Staaten, Blythe Blake, getötet durch einen Kopfschuss. Ihre Leiche wurde im Hudson River gefunden. Diese Agentin war verantwortlich für den Schutz eines Mannes, der kommenden Montag als Zeuge im Prozess gegen die Drogenbaronin Jezebel Cortes aussagen sollte. Der Kronzeuge steht derzeit unter dem Schutz des FBI.
Madeline holte tief Luft: Man konnte nicht wissen, ob die Polizei bereits von Blythes »Verrat« wusste, aber wenigstens war Danny außer Gefahr. Doch die Erleichterung war nur von kurzer Dauer. Sie mussten Alice finden, und sie hatten nicht den geringsten Hinweis, wo sie gefangen gehalten wurde.
»Blythe hatte sicher einen Komplizen«, meinte Madeline.
Jonathan schenkte ihr Kaffee ein, bevor er sich selbst bediente.
»Wir
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