Nachricht von dir
Young …
Melancholische, künstlerische Songs, die den Verlust besangen, den Blues trostloser Morgen und zerstörter Existenzen.
Das war erstaunlich. Zwar trügt oft der Schein, aber er konnte sich nur schwer vorstellen, dass die versnobte junge Frau vom Flughafen mit ihrem Louis-Vuitton-Gepäck sich auf so qualvolle Welten einließ.
Er setzte seine Inspektion mit den Filmen fort, die Madeline heruntergeladen hatte, und war erneut verblüfft: keine romantischen Komödien oder Folgen von Sex and the City oder Desperate Housewives , sondern anspruchsvollere und umstrittene Spielfilme wie Der letzte Tango in Paris , Crash , Macadam Cowboy und Leaving Las Vegas .
Vor allem der letzte Titel interessierte Jonathan: Die unmögliche Liebesgeschichte zwischen einem selbstmordgefährdeten Alkoholiker und einer Prostituierten gehörte zu seinen Lieblingsfilmen. Das langsame Abgleiten in den Alkohol von Nicolas Cage, um sein Scheitern zu vergessen, war ihm fast vertraut erschienen. Ein Film, der die eigenen Wunden wieder aufriss, alte Dämonen und selbstzerstörerische Instinkte weckte. Eine Geschichte, die einen mit den eigenen verborgenen Ängsten und der Einsamkeit konfrontierte und daran erinnerte, dass niemand gegen einen plötzlichen Absturz in die Hölle gefeit ist. Je nach dem eigenen Befinden konnte dieser Film Depressionen hervorrufen oder einem mehr Klarheit über sich selbst verschaffen. Auf jeden Fall ließ er einen nicht kalt.
Ganz offensichtlich hatte Madeline Greene unerwartete Vorlieben.
Perplex ließ er sich dazu hinreißen, die SMS und E -Mails zu überfliegen. Neben den beruflichen Nachrichten handelte es sich vor allem um die Korrespondenz mit Raphael – ihrem offensichtlich sehr verliebten und aufmerksamen Lebensgefährten – und ihrer besten Freundin – besagter Juliane, dieser vorlauten, indiskreten Quasselstrippe, die ihr aber treu ergeben war und der es nicht an Humor fehlte. Ein Dutzend E -Mails von einem Pariser Bauunternehmer ließen auf einen bevorstehenden Umzug in ein Haus in Saint-Germain-en-Laye schließen, das Madeline und Raphael mit der Hingabe und Sorgfalt einrichteten, die man dem ersten Liebesnest widmet. Ganz offensichtlich schwebte das Paar im siebten Himmel, außer dass …
Als Jonathan weiter das betrieb, was man gemeinhin als Schnüffelei bezeichnet, geriet er an Madelines elektronischen Terminkalender und stieß auf regelmäßige Treffen mit einem gewissen Esteban. Er stellte sich sofort einen argentinischen Playboy als Liebhaber der jungen Engländerin vor. Zweimal wöchentlich, zwischen achtzehn und neunzehn Uhr, traf sich Madeline mit ihrem Latin Lover. Wusste der nette Raphael von den Amouren seiner hübschen Verlobten? Natürlich nicht. Jonathan war dasselbe Schicksal widerfahren, und er hatte nichts kommen sehen, hatte seine Beziehung vielmehr für gut und intakt gehalten, bis er entdecken musste, dass Francesca ihn betrog.
Alle gleich , dachte er desillusioniert.
Auf den Fotos hatte er Raphael – mit seinem blauen Hemd und dem Pullover um die Schultern der ideale Schwiegersohn – etwas langweilig gefunden. Angesichts der Tatsache aber, dass dieser Esteban sicherlich der Zerstörer des zukünftigen ehelichen Glücks sein würde, empfand Raphael ein gewisses Mitgefühl und Solidarität ihm gegenüber.
Bei den anderen Terminen kam immer wieder die Gynäkologin vor: Doktor Sylvie Andrieu, die Madeline seit etwa einem halben Jahr wegen offensichtlicher Unfruchtbarkeitsprobleme behandelte. Das zumindest ließen die E-Mails von verschiedenen Analyse-Laboratorien vermuten, die Madeline gespeichert hatte.
Vor dem Display des Smartphones fühlte sich Jonathan zwar fast wie ein Voyeur, aber irgendetwas an dieser jungen Frau begann ihn zu fesseln.
In den letzten Wochen hatte sich Madeline den üblichen Tests unterzogen, um die Ursache einer eventuellen Sterilität herauszufinden: Temperaturkurven, Blutproben, Ultraschall und Röntgenaufnahmen. Auf diesem Terrain kannte sich Jonathan aus: Francesca und er hatten ähnliche Probleme gehabt und denselben Parcours durchlaufen, bevor es ihnen gelungen war, Charly zu zeugen.
Er studierte die Ergebnisse aufmerksam. Soweit er verstand, waren sie eher erfolgversprechend. Madeline hatte einen regelmäßigen Zyklus, einen ordentlichen Hormonspiegel und einen Eisprung, den man nicht stimulieren musste. Und auch ihr Liebster hatte sich einem Spermatest unterzogen und vermutlich mit Erleichterung festgestellt, dass seine
Weitere Kostenlose Bücher