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Spermien zahlreich und mobil genug waren.
Fehlte nur noch der sogenannte » PCT « oder »Po-Co-Test«, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Als er sich noch einmal in den elektronischen Terminkalender vertiefte, fiel Jonathan auf, dass sie den Termin seit drei Monaten immer wieder verschoben hatte.
Merkwürdig …
Er erinnerte sich sehr gut an seinen eigenen Zustand, als er sich damals mit Francesca diesem Test unterzogen hatte. Natürlich war der Post-Coital-Test, der die Vereinbarkeit der beiden Partner überprüfen sollte, mit enormem Stress verbunden – Durchführung zwei Tage vor dem Eisprung und weniger als zwölf Stunden nach einem ungeschützten Verkehr –, aber wenn man sich einmal zu all diesen Untersuchungen entschlossen hatte, dann hatte man auch den Wunsch, sie so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, um Gewissheit zu bekommen.
Warum hat Madeline den Test dreimal verschoben?
Darüber zerbrach er sich den Kopf, obgleich er wusste, dass er keine Antwort finden würde. Vielleicht lag es ja auch an Raphael oder an der Gynäkologin.
»Ab ins Bett, Junge!«, rief Boris.
Und ausnahmsweise hatte der Vogel recht. Warum saß er um zwei Uhr nachts noch hier herum und untersuchte hartnäckig das Smartphone einer Frau, die er nur zwei Minuten in seinem Leben gesehen hatte?
Jonathan erhob sich, fest entschlossen, schlafen zu gehen, doch das Smartphone zog ihn weiter in seinen Bann. Unfähig, es aus der Hand zu legen, verband er sich mit dem WLAN -Zugang und blätterte die Aufnahmen von Madeline durch, bis er fand, was er suchte. Er löste den Druckbefehl aus und ging ins Wohnzimmer.
Der Drucker knisterte, ehe er schließlich eine amerikanische Einstellung der jungen Frau vor dem Canal Grande in Venedig ausspuckte. Jonathan griff danach und versenkte seinen Blick in den von Madeline.
Ihr Gesicht hatte etwas Geheimnisvolles. Hinter dem Licht und dem Lächeln erahnte man eine Wunde, etwas unwiederbringlich Zerbrochenes, so als würde sich in dem Foto eine subliminale Nachricht verbergen, die er nicht zu entschlüsseln vermochte.
Jonathan kehrte auf die Terrasse zurück. Fasziniert klickte er die verschiedenen Apps an, die auf das Smartphone heruntergeladen worden waren: Nachrichten, Pariser Metroplan, Wettervorhersage …
»Was ist dein Geheimnis, Madeline Greene?«, flüsterte er und strich über das Display.
»Madeline Greeeeeen!«, kreischte der Papagei.
Im Haus gegenüber ging Licht an.
»Wir wollen schlafen«, rief ein Nachbar.
Jonathan wollte Boris gerade zurechtweisen, als ein Programm seine Aufmerksamkeit anzog: ein »Frauenkalender«, dem Madeline einen guten Teil ihrer Intimitäten anvertraut hatte. Angelegt wie ein Notizkalender, speicherte es die Daten der Periode, errechnete den Eisprung, die fruchtbaren Tage und die durchschnittliche Menstruationsdauer. In einem »Journal« wurde die Entwicklung des Gewichts, eine Temperaturkurve und die entsprechenden Seelenzustände festgehalten, und ein diskretes Herzsymbol gab der Benutzerin die Möglichkeit, jene Tage zu markieren, an denen sie sexuellen Verkehr gehabt hatte.
Als er die Verteilung der Herzen auf dem Kalender studierte, wurde Jonathan plötzlich alles klar: Madeline gab vor, ein Kind zu wollen, achtete aber peinlich darauf, nie während der fruchtbaren Tage Geschlechtsverkehr zu haben …
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Kapitel 4
Zeitverschiebung
Das Herz des Weibes ist ein ausgeklügeltes Labyrinth, welches den engstirnigen Geist des Mannes herausfordert. Wenn Sie eine Frau wirklich besitzen wollen, müssen Sie denken wie sie und als erstes ihre Seele erobern.
Carlos Ruiz Zafon,
Der Schatten des Windes
Währenddessen in Paris …
»Takumi, tust du mir bitte einen Gefallen?«
Die Wanduhr im Laden hatte soeben elf Mal geschlagen. Das Haar mit einem Blumenstecker zusammengehalten, die Hände zerkratzt, stand Madeline auf einer Leiter und hängte einen riesigen Stechpalmenstrauß auf.
»Selbstverständlich, Madame«, antwortete der junge Lehrling.
»Hör auf, mich ›Madame‹ zu nennen!«, ereiferte sie sich und stieg ein paar Stufen hinunter.
»In Ordnung, Madeline«, korrigierte sich Takumi errötend.
Seine Chefin beim Vornamen zu nennen schuf eine Vertrautheit, die ihm peinlich war.
»Sei so nett und gib dieses Päckchen für mich bei der Post auf«, sagte sie und reichte ihm einen kleinen Luftpolsterumschlag, in dem sie Jonathans Smartphone verpackt hatte.
»Natürlich Mada…, ähm, Madeline.«
»Es
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