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über die Dächer von Paris begab. Sie setzte den Teekessel auf und öffnete den Kühlschrank auf der Suche nach etwas Essbarem.
Hmm, nicht gerade viel …
Beim Stöbern in den Schränken stieß sie auf eine angebrochene Packung Granola. Während sie auf das Pfeifen des Kessels wartete, biss sie in einen Keks und überflog den Anhang der Bekenntnisse eines leidenschaftlichen Kochs , wo insbesondere Rezepte abgedruckt waren, die Lempereurs Restaurant in New York so berühmt gemacht hatten. Zu Jonathans Zeit hatte das Imperator jeden Abend eine kulinarische Reise angeboten, die aus etwa zwanzig Mini-Gängen bestand und viele Überraschungen und Neuheiten bereithielt. Als Madeline die Speisekarten las, lief ihr unweigerlich das Wasser im Mund zusammen.
1. Akt
Gratinierte Krebsschwänze an Kaviar
Bacon-Parmesan-Crostini
Rührei mit Seeigel und Nougatine
Akazienblüten-Beignets an Schaumzucker
frische Favabohnen mit Knoblauch und Honigkuchenpanade
Provenzalische Pizza
2. Akt
Gebratene Jakobsmuscheln mit Makronen und Mandelrisotto
Trüffelrisotto an weißer Schokoladenemulsion
Baskische Kalbshaxe mit kandiertem Jasmin
Duett vom Milchlammrücken und -nüsschen an Honig-Thymian-Soße
3. Akt
Marshmallow-Eis im Holzofen überbacken
Ananas mit Magnolienblüten
Erdbeeren an gebräunten Kapuzinerkresseblüten
Fliedermeringue auf Milchschaum an Olivenöl und Honig
Bananenplätzchen mit Holunderblüten-Milchreis
Karamellisierte Kokos-Mousse
Geeistes Zuckerwatte-Praliné
Mit der Teetasse in der Hand setzte sich Madeline vor ihren Laptop. Durch das Fenster beobachtete sie, wie die Schneeflocken sich auflösten, sobald sie auf die Dächer fielen. Fast widerstrebend fühlte sich die junge Frau immer stärker von Lempereur und dem Geheimnis fasziniert, das seinen plötzlichen Rückzug von der gastronomischen Bühne umgab. Warum entschied sich ein noch junger Mann, auf dem Höhepunkt seines Ruhms und seiner Kunst, von einem Tag auf den anderen seine Karriere aufzugeben?
Sie tippte in Google »Jonathan Lempereur« ein, zudem den Begriff »Schließung seines Restaurants« und startete die Suche …
Währenddessen in San Francisco …
Vier Uhr am Nachmittag. Jonathan gab das letzte Dessert dieses Tages heraus – eine einfache Aprikosentarte mit Rosmarin –, bevor er seine Schürze ablegte und sich die Hände wusch.
Dienstschluss !, dachte er und verließ die Küche. Im Speiseraum begrüßte er einen Gast und trat hinter die Theke, um zwei Espressi zuzubereiten – einen für seinen Jungkoch, den anderen für sich selbst. Er griff nach den Tassen und überprüfte ihre Temperatur, um sicher zu sein, dass der Wärmeverlust möglichst gering und das Aroma des Kaffees erhalten blieb. In North Beach, dem italienischen Viertel der Stadt, verstand man diesbezüglich keinen Spaß! Undenkbar, einen Ristretto zu verpfuschen oder eine dieser Maschinen mit Kaffeekapseln zu verwenden, die weltweit, von Shanghai bis New York, den Geschmack vereinheitlichten.
Seine Tasse in der Hand, trat er auf die Terrasse hinaus, um sich zu vergewissern, dass Charly sich nicht allzu sehr langweilte. Der Junge war an seinem Tablet- PC in die Welt der Dinosaurier versunken und achtete gar nicht auf seinen Vater, als dieser sich in seiner Nähe unter einen der Heizstrahler setzte.
Jonathan zündete sich diskret eine Zigarette an und beobachtete die Passanten und Kinder, die den Washington Square überquerten. Er liebte diesen Ort mit seiner besonderen Atmosphäre. Obgleich die Mehrzahl der Anwohner heute asiatischer Herkunft war, legte das Viertel großen Wert auf sein italo-amerikanisches Erbe, wovon die Eisverkäufer mit ihren Rollwägen, die mit Fahnen in den Farben Grün, Weiß, Rot eingefassten Straßenlaternen und die zahlreichen Familienrestaurants zeugten, wo man Pasta mit Pesto, Panna cotta und Tiramisu genoss. Es war ein mythischer Ort: Kerouac hatte hier gelebt, Marilyn Monroe hatte in der hiesigen Kirche geheiratet, und Francis Coppola, der Regisseur von Der Pate, besaß im Viertel noch immer ein Restaurant und seine Büros.
Jonathan zog Madelines Smartphone aus der Tasche. Weiterhin keine Nachricht. Er startete das geheime Anwendungsprogramm, wild entschlossen, dieses Mal die Hürde des Passworts zu überwinden.
ENTER PASSWORD
Er musste systematisch vorgehen. Ständig bekam man eingetrichtert, das Passwort für den Zugang sei ebenso wichtig wie die Geheimzahl der Bankkarte. Na
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