Nachricht von dir
Dieser hatte sein Restaurant regelmäßig besucht, und die beiden waren schließlich Freunde geworden. »Sie ist zwar nicht in der Lage, das Chaos in ihrem eigenen Leben zu regeln, aber anderen hilft sie sehr gut, auch wenn sie für meinen Geschmack etwas zu hübsch für eine Psychiaterin ist«, hatte ihn der alte Arzt gewarnt.
Jonathan hatte einige Sitzungen bei ihr absolviert und sich ihr ein wenig anvertraut, dann war er nur noch gekommen, um sich Angstlöser verschreiben zu lassen, und schließlich gar nicht mehr. Die Psychoanalyse war nicht sein Ding, oder er war noch nicht bereit dazu.
Mehrere Wochen nach seiner letzten Sitzung war er Ana-Lucia eines Abends zufällig in einer Bar in North Beach begegnet. Auf der Bühne spielte ein Solo-Gitarrist einen alten Song von Led Zeppelin und bediente mit einem Fuß einen Cajón, mit dem anderen einen Sampler. Jonathan war noch immer nicht über den Verlust seiner Exfrau hinweggekommen, und Ana-Lucia war gerade von ihrer großen Liebe, einem dominanten und egoistischen Börsenmakler, der am anderen Ende des Landes lebte, verlassen worden. Sie hatten ein paar Bier getrunken, schließlich geflirtet und waren im Begriff gewesen, eine Dummheit zu begehen. Wir haben alle unsere schwachen Momente.
»Es scheint dir nicht besonders gut zu gehen«, sagte sie, um das Schweigen zu brechen.
»Es gibt bessere Tage«, gestand er. »Ich möchte dich um etwas bitten.«
Die Aufzugtüren öffneten sich, und sie liefen über einen langen Gang, der zu Ana-Lucias Büro führte: ein kleiner Raum mit gedämpftem Licht, der auf die Hyde Street hinausführte.
»Ja?«
»Wenn ich mich recht entsinne, hast du unsere Sitzungen aufgenommen, oder?«
»Ja, aber es waren so wenige, dass man sie an einer Hand abzählen kann« erwiderte sie und gab Jonathans Namen in den Computer ein.
Als sie seine Akte gefunden hatte, fügte sie hinzu:
»Es waren genau drei.«
»Kannst du mir die Aufnahmen zukommen lassen?«
»Natürlich. Ich schicke sie dir sofort per E -Mail. Das gehört zur Therapie. Brauchst du sonst noch etwas?«
»Nein danke, alles okay«, versicherte er und erhob sich.
»Wie du meinst.«
Ana-Lucia stand ebenfalls auf, zog ihren Kittel aus und hängte ihn an die Garderobe.
»Mein Dienst ist zu Ende, soll ich dich mitnehmen?«, schlug sie vor und schlüpfte in einen braunen Ledermantel, in dem sie eher einem Topmodel glich als einer Ärztin.
»Ja, gerne.«
Er folgte ihr in die Parkgarage zu einem nagelneuen Audi Spyder.
»Wie viele Sprechstunden hältst du pro Woche ab, um dir ein solches Auto leisten zu können?«
»Es ist nicht meines«, erwiderte sie ausweichend und ließ den Motor an.
»Verstehe, dein Börsentyp ist zurückgekommen.«
»Deine Frau nicht?«
Jonathan, der die Frage als absurd empfand, zuckte nur mit den Schultern.
Das Cabriolet fuhr über die Bush Street und bog dann in die Leavenworth Street ein. Ana-Lucia schien gern gefährlich zu leben, denn sie gab auf der schnurgeraden California Street Vollgas.
»He, was soll denn das!«
»Entschuldige«, sagte sie und trat auf das Bremspedal.
Nachdenklich fuhr sie im Schritttempo die Grant Avenue hinauf. Nach einer Weile brach sie das Schweigen.
»Du bist wie die meisten, Jonathan, ständig in deinen dunklen Zonen verloren. Es wird dir erst dann wirklich besser gehen, wenn du dich von der Last deiner Phantome befreit hast.«
»Die Phantome dürften nicht allzu schwer sein«, scherzte er.
»Aber die Ketten, die sie mitschleifen, wiegen Tonnen.«
Die restliche Fahrt dachte er über diese Antwort nach, bis sie ihn auf der Höhe von Telegraph Hill absetzte.
»Und was ist mit dir, geht es dir besser?«, fragte er und öffnete die Wagentür.
»Nein, aber das ist ein anderes Problem.«
»Na gut, ich will nicht weiter insistieren.«
Sie deutete ein Lächeln an und raste erneut den Lichtern der Stadt entgegen.
Erleichtert, zu Hause zu sein, öffnete Jonathan die Haustür. Marcus war auf dem Sofa vor einer alten Star-Treck -Folge eingeschlafen. Er schaltete den Fernseher aus und warf einen Blick in Charlys Zimmer, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Der Junge war über seinem Tablet- PC eingenickt, nachdem er den Angry Birds bei ihrem Kampf gegen die Green Pigs geholfen hatte.
Verärgert stellte Jonathan den Apparat aus. In Charlys Alter war er über einem Buch eingeschlafen und nicht über einem elektronischen Gerät! Er dachte an die Zeit, als er sich in Tintin , Die drei Musketiere , in Bücher von Marcel
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