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Nachricht von dir

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Titel: Nachricht von dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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Pagnol, Jules Verne und später dann in Geschichten von Stephen King und John Irving vertieft hatte. All das schien so weit zurückzuliegen. Heute war das Leben schon von klein auf von Fernsehen, Spielkonsolen, Computern, Telefonen, Bildschirmen und Netzwerken beherrscht.
    Bin ich ein alter Trottel geworden? fragte er sich, bevor er seinerseits der Faszination des Computers erlag und überprüfte, ob Ana-Lucias Mail angekommen war.
    Es gab tatsächlich drei MP 3-Dateien, die den drei Sitzungen entsprachen, die er bei ihr absolviert hatte. Er wusste genau, was er suchte. Der Ausschnitt, den er sich anhören wollte, war am Anfang der zweiten Sitzung.
    Er setzte seinen Kopfhörer auf, schaltete das Licht aus, machte es sich auf dem Sofa bequem und hörte sich die Aufzeichnung an.
    In den ersten Minuten vernahm man vor allem Ana-Lucias unglaublich beruhigende Stimme, die sich bemühte, ihren Patienten in jenen Zustand vollständiger Entspannung zu versetzen, der einer leichten Hypnose ähnelte. Dann kam sie zum Thema:
    Letztes Mal haben Sie mir die schlimmste Woche Ihres Lebens beschrieben: die wenigen Tage, in denen Sie Ihre Frau und Ihre Arbeit verloren haben. Und noch dazu erfuhren Sie vom Tod Ihres Vaters, mit dem Sie seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesprochen hatten. Sie haben gesagt, Sie hätten lange gezögert, zu seiner Beerdigung zu fahren. Aber schließlich sind Sie doch nach Paris geflogen. Ist das richtig so?
    Nach längerem Schweigen begann Jonathan sein Bekenntnis. Wegen seines medienträchtigen Berufs war er an Fernsehaufzeichnungen und Interviews gewöhnt. Doch seit zwei Jahren hatte er sich nicht mehr selbst sprechen gehört. Es war seltsam, wie sehr seine Stimme und seine Intonation zu jener Zeit seine Emotionen und sein Leid verraten hatten.
     
    Ich bin am späten Nachmittag des 31. Dezember in Paris angekommen. Es herrschte in ganz Frankreich ein eiskalter Winter. Eine Woche zuvor hatte es geschneit, und in manchen Vierteln wirkte die Hauptstadt noch immer wie eine Skistation …


    Kapitel 19 *
    Begegnung
    Erfolg ist nicht immer ein Beweis für persönliche Entfaltung, oft ist er sogar ein Nebeneffekt verborgenen Leids.
    Boris Cyrulnik,
Mourir de dire: la honte
     
     
     
     
    Paris
    Zwei Jahre zuvor
    31. Dezember 2009
     
    Ich hatte am Flughafen ein Auto gemietet, eine komfortable deutsche Limousine, die mich, so hieß es, sicher an mein Ziel bringen würde. Ich hätte auch nach Toulouse fliegen können, doch wegen der Festtage war die Beerdigung meines Vaters auf den zweiten Januar verlegt worden, und die Vorstellung, die Jahreswende bei meiner Schwester und ihrem Mann zu verbringen, war mir ein Graus.
    Ich beschloss also, erst am Vorabend mit dem Wagen von Paris nach Auch zu fahren, wo die Beisetzung stattfinden würde. Ich hatte die letzten drei Tage kein Auge zugetan und wollte meine Schlaflosigkeit in einer sehr langen Nacht ertränken. Ich träumte von einer Pillenmenge, groß genug, um ein ganzes Regiment zu betäuben, doch ich hatte keine Medikamente bei mir, und um diese Zeit einen Arzt aufzutreiben, würde nicht leicht sein. Vor allem musste ich ein Hotel finden, denn das im 6. Arrondissement, in dem ich gewöhnlich abstieg, hatte kein freies Zimmer mehr.
    »Wir sind ausgebucht«, hatte mir der Empfangschef trocken erklärt.
    Früher hatten mich die Verantwortlichen dieses Hotels – selbst wenn ich unerwartet aufkreuzte – stets mit großem Pomp empfangen, weil ich Jonathan Lempereur war, weil es für sie eine Ehre war, dass ich ihr Haus gewählt hatte, und weil mein Foto mit persönlicher Widmung neben denen anderer VIP s an der Wand ihres kleinen Salons prangte. Aber Neuigkeiten verbreiten sich schnell, man hatte offenbar die Angestellten informiert, dass ich in »Ungnade« gefallen war, denn niemand machte Anstalten, mir weiterzuhelfen. Ich kannte einige Kollegen in Pariser Luxushotels und -restaurants, doch mein Masochismus hatte seine Grenzen, und ich gönnte ihnen die Schadenfreude nicht, mich in diesem desolaten Zustand zu sehen. Nach mehreren Anrufen fand ich schließlich eine bescheidene Bleibe in einem weniger schicken Viertel. Mein Zimmer war tatsächlich »bescheiden«, spartanisch wäre der treffendere Ausdruck gewesen. Vor allem war es eisig kalt. Ich versuchte, die Heizung höher zu stellen, doch das änderte so gut wie nichts. Es war fünf Uhr nachmittags und bereits dunkel. Ich setzte mich auf das Bett. Mein Sohn fehlte mir, meine Frau fehlte mir, mein Leben

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