Nachricht von dir
mir in den Wagen gestiegen, nicht einmal, um der Polizei zu entkommen …«
Sie entgegnete nichts, was mir bewies, dass ich ins Schwarze getroffen hatte.
»Außerdem gehören mir diese Drogen nicht«, sagte ich und warf das Päckchen in einen der Papierkörbe des Parkplatzes. »Das ist eine komplizierte Geschichte, aber ich musste sie annehmen, um diesen Revolver zu bekommen.«
»Und wozu haben Sie diese Waffe?«
»Nur um mich zu schützen.«
Sie musste Amerikanerin sein, denn sie gab sich mit dieser Erklärung ohne Widerspruch zufrieden.
»Gut, jetzt bist du dran. Du sagst mir, wer du bist und wo du wohnst, sonst rufe ich die Polizei.«
»Ich habe Mist gebaut«, begann sie. »Bin ausgerissen, das ist alles. Ich lebe in New York, bin aber mit meinen Eltern hier in Urlaub. Wir haben ein Haus an der Côte d’Azur.«
»Wo?«
»In Cap d’Antibes.«
Den Ort kannte ich gut. Dort hatte ich mein erstes Restaurant gehabt.
»Ich wollte nach Hause, doch man hat mir im TGV meine Tasche geklaut, und jetzt habe ich weder Handy noch Portemonnaie.«
Sie klang zwar aufrichtig, aber dennoch hatte ich das vage Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte.
»Rufen Sie meinen Vater oder meine Mutter an, wenn Sie mir nicht glauben!«
Sie diktierte mir eine Nummer, die ich auf meinem Handy wählte. Gleich nach dem ersten Klingelton geriet ich an eine gewisse Madame Kowalski. Sie bestätigte mir die ganze Geschichte: Ihre Tochter sei am Morgen nach einem heftigen Streit ausgerissen. Ihre Erleichterung war deutlich spürbar, auch wenn sie versuchte, sich ihre Panik nicht allzu sehr anmerken zu lassen.
Ich übergab Alice mein Handy, damit sie ihre Mutter beruhigen konnte. Um nicht indiskret zu sein, stieg ich aus dem Wagen, lehnte mich an die Motorhaube und rauchte eine Zigarette. Trotzdem konnte ich einen Großteil des Gesprächs, das sich über Minuten erstreckte, mitverfolgen. Alice entschuldigte sich mehrmals und vergoss sogar ein paar Tränen. Als sie mir das Handy wieder überließ, schlug ich Madame Kowalski vor, ihre Tochter persönlich zurückzubringen. Ich müsse sowieso »in den Süden« zur Beerdigung meines Vaters und könne am Morgen in Antibes sein.
Sie zögerte, willigte aber schließlich ein.
Wir waren seit einer halben Stunde unterwegs.
Bei dichtem Schneetreiben fuhren wir über die A 6 und hatten soeben Evry hinter uns gelassen. Alice war in die amerikanischen Zeitungen vertieft, die sich wie die Geier über meine beruflichen und ehelichen Schicksalsschläge hermachten.
»Ihre Frau ist sehr schön …«, sagte Alice und betrachtete ein Foto von Francesca.
»Ja, diesen Satz höre ich seit zehn Jahren mindestens ein Mal täglich …«
»Und geht Ihnen das auf die Nerven?«
»Du hast alles verstanden.«
»Wieso?«
»Wenn sie nicht so schön wäre, hätte sie mich vielleicht nicht betrogen.«
»Meiner Meinung nach hat das damit nichts zu tun«, erwiderte sie, fünfzehn Jahre alt.
»Doch, natürlich. Je hübscher du bist, desto begehrter bist du, und umso größer ist die Versuchung. Das steht nun mal fest.«
»Aber gilt das Gleiche nicht für Sie? In Ihren Sendungen haben Sie die Rolle des sexy Sternekochs gespielt, der …«
»Nein!«, fiel ich ihr ins Wort. »Das ist nicht dasselbe. Ich bin nicht so .«
»Wie, so ?«
»Du gehst mir auf die Nerven.«
»Sehr konstruktiver Beitrag«, bemerkte sie.
Nachdem ich nichts darauf erwiderte, schaltete sie das Radio ein und ließ alle Sender durchlaufen. Ich dachte, sie würde einen Kanal mit »Teenie-Musik« suchen, doch sie hielt bei dem Klassiksender France Musique an. Alice lauschte verzückt einem sehr zarten Klavierstück.
»Das ist wunderschön«, sagte ich.
»Schumann, die Davidsbündlertänze , Opus 6.«
Ich dachte, sie würde mich auf den Arm nehmen, bis das Stück endete und die Ansagerin verkündete:
»Sie hörten soeben Maurizio Pollini, der die Davidsbündlertänze von Robert Schumann interpretierte.«
»Bravo!«
Sie spielte die Bescheidene.
»Das war leicht.«
»Ich kenne Schumann nur wenig. Auf jeden Fall habe ich diese Stücke nie gehört.«
»Sie sind Clara Wieck gewidmet, der jungen Frau, in die er verliebt war.«
Nach einem kurzen Schweigen fügte sie hinzu:
»Manchmal zerstört die Liebe, manchmal bringt sie großartige Kunstwerke hervor …«
»Spielst du Klavier?«
Und wieder antwortete sie erst nach einem gewissen Zögern, eine Zurückhaltung, die ich in dieser Nacht noch öfter beobachten konnte. Als fürchte
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