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gertenschlank und zerbrechlich. Ihr Haar war schwarz gefärbt bis auf zwei karminrote Strähnen. Ein langer Pony fiel ihr immer wieder über die Augen. Sie trug enge Jeans, lederne Converse-Schuhe und ein gestreiftes T -Shirt, halb verdeckt durch einen rosa-grauen Kapuzenpullover, auf den das Emblem der Fußballmannschaft Manchester United genäht war. Ein winziger Diamant prangte auf ihrem linken Nasenflügel und eine mittelalterliche Silberkette mit Granatanhänger an ihrem Hals. Ihr Gothic-Make-up – Kajal und schwarzer Eyeliner auf fahlem Teint – verlieh ihr eine wohlkalkulierte Leichenblässe.
Ich sah mir ihre Schuhe an: Sie waren quasi neu. Diese Göre trug Markenkleidung und Schmuck. Sie war kein Straßenmädchen, kam vielmehr aus einem reichen Haus.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Auf jeden Fall konnte ich sie nicht mitten auf dem Périphérique hinauswerfen. Ich musste mehr in Erfahrung bringen, doch sie schien nicht eben gesprächig. Ich nahm die erste Ausfahrt, die zu der Tankstelle Porte de Montreuil führte, und hielt auf dem Parkplatz an.
»Wie heißt du?«, fragte ich auf Englisch.
»Was geht Sie das an?«
»Jetzt hör mir mal gut zu. Du bist in mein Auto gestiegen, ohne dass ich dich darum gebeten habe, deshalb wirst du deinen Ton mäßigen, okay?«
Sie zuckte mit den Schultern und wandte den Blick ab.
»Also, wie heißt du?«, wiederholte ich in festem Ton.
»Alice«, sagte sie seufzend, »Alice Kowalski.«
»Wo wohnst du?«
»Ich weiß nicht, warum Sie das interessiert.«
»Warum hattest du vorhin Angst vor den Bullen?«
»Und Sie?«, gab sie patzig zurück.
Überrumpelt begann ich, mich zu verteidigen.
»Ich hatte ein Gläschen zu viel getrunken, das ist alles.«
In diesem Augenblick sprang die Klappe des Handschuhfachs, das ich schlecht verschlossen hatte, auf. Beim Anblick der Waffe und der Drogen geriet das Mädchen in Panik. Sie stieß die Beifahrertür auf, um zu fliehen, davon überzeugt, an einen Ganoven geraten zu sein.
»Halt, es ist nicht, was du denkst!«, rief ich und rannte ihr nach.
»Lassen Sie mich«, entgegnete sie und flüchtete in das Tankstellengebäude.
Ich zündete mir eine Zigarette an und beobachtete sie von draußen. Sie nahm auf einem Barhocker neben den Automaten Platz. Wer war dieses Mädchen? Vor wem oder was war sie auf der Flucht? Ich war kurz versucht, zu meinem Wagen zurückzukehren und mich aus dem Staub zu machen, ohne weitere Fragen zu stellen. Das ging mich wirklich alles nichts an. Ich würde mir nur zusätzlichen Ärger einhandeln.
Seufzend beschloss ich, mich trotzdem um sie zu kümmern. Die Tankstelle war »festlich« geschmückt: eine triste Glühbirnengirlande und Plastikkugeln an einem spärlichen Christbaum. Im Radio waren Weihnachtslieder zu hören.
»Spendierst du mir einen Espresso?«
»Ich hab kein Geld«, sagte sie kopfschüttelnd.
Ich zog mein Portemonnaie aus der Tasche.
»Möchtest du etwas?«, fragte ich und schob eine Münze in den Schlitz des Automaten.
»Ja, dass Sie mich in Ruhe lassen.«
Ich versuchte, sie zur Vernunft zu bringen.
»Hör zu, das war ein schlechter Start.«
»Verschwinden Sie einfach, ich komme allein zurecht.«
»Und wie? Du hast kein Geld, sprichst kein Wort Französisch. Ich kann dich nicht so zurücklassen. Als Erwachsener hat man eine gewisse Verantwortung.«
Sie verdrehte die Augen, nahm aber die Münzen an, die ich ihr reichte. Sie wählte eine kleine Flasche mit Erdbeermilch und ein Päckchen Oreo aus dem Automaten. Während sie die Kekse aß, griff ich nach einem Exemplar des Magazins Metro , das auf dem Nachbartisch lag.
»Schau hier, ein Foto von mir. Wie du siehst, nicht in der Rubrik ›Kleinganoven‹.«
Sie überflog den Artikel und hob den Blick.
»Ich habe Sie schon mal in einer Fernsehsendung gesehen. Da haben Sie ganz furchtbar gegen die Veganer gewettert!«
Sie spielte auf eine Auseinandersetzung mit Aktivisten an, die sich für ein Verbot von Gänseleberpastete in den USA einsetzten.
»Wenn Sie ein Star sind, was haben Sie dann an einem Silvesterabend mit Koks im Handschuhfach bei den Nutten für zwanzig Euro zu suchen?«, fragte sie und sah mich herausfordernd an.
»Gut. Komm mit«, bat ich sie.
Gott segne die Medien. Mein Bekanntheitsgrad hatte ihr Vertrauen wiederhergestellt, und so folgte sie mir, wenn auch in gebührendem Abstand, zu meinem BMW .
»Zunächst mal war ich kein Kunde der Prostituierten, und das weißt du genau, denn sonst wärst du nicht zu
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