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Nachricht von dir

Nachricht von dir

Titel: Nachricht von dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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Ein Makel, so unerwartet, dass man nur eines wissen wollte: wie es zu dieser Verletzung gekommen war. Sie dankte mir für meine Hilfe und lud mich zu einem Kaffee ein, doch ich erklärte ihr, ich würde erwartet.
    Während ich zu meinem Wagen zurücklief, folgte mir Alice, um sich das Dutzend Makronen zu holen, das sie nicht gegessen hatte.
    »Für meinen ›five o’clock tea‹«, meinte sie mit einem Augenzwinkern und kehrte zu ihrer Mutter zurück.
    Sie hatte sich schon ein Stück entfernt, als sie sich noch einmal umdrehte und mit ernster Stimme sagte:
    »Take care of yourself.«
     
     
    Ich kehrte um und stellte den Wagen am Ende des Küstenwegs ab, nahm den Revolver aus dem Handschuhfach, schloss den BMW ab und lief zu Fuß über den Pfad, den Kopf voller Bilder aus der Vergangenheit.
    Ich war in Auch geboren und hatte in Antibes einige meiner glücklichsten Momente verbracht. Als ich vierzehn Jahre alt war, hatte mich mein Vater ganz in der Nähe von hier auf das Internat Sophia-Antipolis geschickt. Mit fünfzehn hatte ich auf der Befestigungsmauer des Château Grimaldi Justine, meine Jugendliebe, geküsst. Und später hatte ich in La Bastide in Saint-Paul-de-Vence und dann im Hôtel du Cap meine französischen Restaurants geführt.
    Diese aufsteigenden Erinnerungen ließen mich erschauern.
    Irgendwie sonderbar, dass mich das Schicksal an einem Tiefpunkt meines Lebens an den Ort meiner ersten Erfolge geführt hatte.
    Der Pfad war schmal und führte an einem Steilhang entlang. Ich sprang von einem Felsen zum nächsten, um möglichst nah an der zerklüfteten Küste zu sein, mit diesem einzigartigen Panoramablick über die befestigte Stadt, die schneebedeckten Berggipfel und die vorgelagerten Îles de Lérins.
    Ich blieb stehen und betrachtete die aufgehende Sonne, die am Horizont triumphierte. Die Luft war klar, und das Schauspiel war ebenso intensiv wie die unendliche Einsamkeit und die Angst, die mich quälten.
    Ein schöner Tag, um zu sterben.
    Ich zog den Revolver aus meiner Tasche. Die Worte von Christophe Salveyre fielen mir wieder ein: »Es ist eine Smith & Wesson, Modell 60, Kaliber 38 spezial.«
    Wir haben alle eine Meinung zum Selbstmord. Ein Akt des Mutes oder der Feigheit? Mit Sicherheit weder das eine noch das andere. Nur eine verzweifelte Entscheidung, wenn man in einer Sackgasse steckt. Der letzte Ausweg, um dem Leben zu entfliehen und dem Unerträglichen zu entgehen.
    Ich hatte mich immer den Tatsachen gestellt, war ihnen nie ausgewichen. Ich hatte mich stets zur Wehr gesetzt, hatte mein Schicksal erzwungen und mein Glück erkämpft, doch heute war es anders. Ich hatte einem bedrohlichen Gegner die Stirn zu bieten: mir selbst. Der letzte Feind, der Gefährlichste.
    Mein Handeln hatte nichts Rationelles. Ich hatte es nicht Monate im Voraus geplant, vielmehr drängte es sich auf als letzte Reaktion auf diese brutale Einsamkeit, die mich seit mehreren Tagen geradezu verschlang und mich ins Nichts abgleiten ließ.
    Ich dachte an die Freundschaft, aber ich hatte nie Freunde gehabt. Ich dachte an die Familie, aber ich hatte die meine verloren. Ich dachte an die Liebe, aber sie hatte sich verflüchtigt.
    Das Bild meines Sohnes tauchte vor meinem geistigen Auge auf, und ich versuchte, mich daran zu klammern, doch bisweilen reicht es nicht, an seine Kinder zu denken, um gegen den Tod anzukämpfen.
    Ich hob das kalte Metall an meine Schläfe, spannte den Hahn, betrachtete ein letztes Mal die Sonne, holte ein letztes Mal tief Luft und drückte auf den Abzug. Eine Befreiung.


    Kapitel 19 ****
     
     
    Ich drückte auf den Abzug.
    Einmal.
    Zweimal.
    Aber ich war nicht tot.
    Ich überprüfte die Trommel: Sie war leer.
    Unmöglich.
    Ich hatte mich, als ich die Waffe in Empfang nahm, selbst davon überzeugt, dass fünf Patronen darin steckten.
    Ich kehrte zu meinem Wagen zurück und öffnete das Handschuhfach: keine Munition. Ich fand nur die Papiertücher aus der Tankstelle, mit denen sich Alice die Hände abgetrocknet hatte. Zwischen den Flecken der Schokoladenmakronen hatte sie mir mit blauem Filzstift eine Nachricht gekritzelt.
     
    Lieber Monsieur Lempereur, oder besser, lieber Jonathan,
    ich habe mir erlaubt, die Patronen aus Ihrem Revolver zu entfernen und in den Papierkorb des Parkplatzes zu werfen, während Sie Ihren Kaffee tranken. Ich weiß nicht, wozu Sie sich eine Waffe beschafft haben, bin mir aber ziemlich sicher, dass es keine gute Idee war.
    Ich weiß auch, dass Sie sich in dieser Nacht,

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