Nachrichten an Paul
Miguel?“
„Erstmal noch diese Nacht“, sage ich. „Und dann sieht man weiter.“
Am nächsten Morgen sind unsere Sachen richtig trocken. Wir frühstücken im Frühstücksraum des Hotels. Es ist nicht so doll, aber es ist durchaus okay. Eine Art schmales Frühstücksbuffet. Mit Orangensaft, der nach Plastik schmeckt und einer Müslisorte mit mehr Zucker als Müsli. Ich esse eine Schüssel Cornflakes mit Joghurt und ein Brötchen mit Käse und Schinken. Miguel trinkt eine große Tasse Milchkaffee und isst nur einen Muffin, sonst nichts.
„Heute Abend ist eine Vernissage in der Galerie Blue Moon“, sagt Miguel. „Ein Freund von mir hat eine Ausstellung. Abstrakte Bilder, sehr schön. Wir könnten hingehen. Und vorher vielleicht chinesisch essen. Oder zum Japaner.“
Und ich weiß, wenn ich jetzt hier ja sage, dann kommt eins zum anderen und zack bin ich in einer Beziehung mit Miguel. Und was, wenn ich mich nun verliebe und dann verlässt er mich? Wegen einer anderen. Oder einer Jüngeren. Oder einfach so. Oder er wird krank. Oder er hat einen Unfall. Oder er stirbt. Ich werde das nicht noch mal überleben. Noch mal so eine Trauer wird mich umbringen. Gerade erst hat sich mein Herz ein bisschen erholt. Die Ketten sind ab, aber ich weiß noch nicht, ob es ohne Ketten überhaupt hält.
„Anna?“, sagt Miguel. „Hörst du mir überhaupt zu?“
„Ich kann nicht“, sage ich.
„Und warum?“, sagt Miguel.
„Was wird, wenn es mit uns nichts wird“, sage ich.
„Das war kein Heiratsantrag“, sagt Miguel. „Das war eine Einladung zum Abendessen. Eine einfache Einladung zum Abendessen.“
„Ich kann nicht, Miguel“, sage ich. „Es tut mir leid.“
„Ja“, sagt Miguel. „Mir auch.“
September
Es ist ein heißer September. Ich sitze viel drinnen im Haus, da ist es einigermaßen kühl, das ist der Vorteil von einem Haus aus Naturstein. Ich übersetze meine Gebrauchsanleitungen. Radios und Fernseher. Toaster und Fritteusen. Führerscheine und Heiratsurkunden.
Manchmal springe ich zwischendurch draußen in das Wasserbecken, das Clara großzügig als Pool bezeichnet, und kühle mich ab. Ich widerstehe der Versuchung mich stundenlang in dem großen Reifen auf dem Wasser treiben zu lassen, während ich mich mit den Füßen vom Rand abstoße, damit der Reifen so richtig schön trudelt. Denn schließlich: ohne Übersetzungen kein Honorar und ohne Honorar ein leerer Kühlschrank. Kein Galão , kein Eis, kein Público . Clara schickt mir eine Nachricht auf Skype.
Clara: na wie isses - noch ein letztes mal eispalast?
Ich: auf jeden fall – morgen nachmittag um drei? – die schneekönigin
Clara: morgen um drei ist perfekt – gez die tangotänzerin
Ich: c u soon
Clara schickt noch dreimal das Symbol Blume und da kommt ein Videocall. Ich nehme an ohne hinzusehen, das ist bestimmt meine Mutter, um mal zu gucken, wie es mir so geht. Da habe ich doch plötzlich Paul im Bildschirm. Es war gar nicht meine Mutter, es ist Paul. Paul hält mir meinen Brief in die Kamera. Meine nicht-virtuelle Nachricht hat also die Reise über den Teich geschafft.
„Hallo Paul“, sage ich.
„Was soll das?“, sagt Paul.
Aber ich gehe mal davon aus, dass er ganz genau weiß, was das soll, denn ich habe es ja im Brief ausgiebig erklärt.
„Du weißt, was das soll“, sage ich. „Es geht einfach nicht mit uns. Es ist zu schwierig. Sollen wir vielleicht andauernd im Flugzeug sitzen und durch die Gegend fliegen?“
„Wir könnten es ja wenigstens probieren“, sagt Paul.
„Es würde nicht gehen“, sage ich. „Das weißt du genauso gut wie ich.“
„Ach Anna“, sagt Paul. „Und wenn du hier wohnen würdest oder ich da?“
„Und wenn ich jünger wäre oder du älter?“, sage ich.
Es tut weh, Paul so im Bildschirm zu sehen, ohne ihn in die Arme nehmen zu können. Er ist so nah und doch so unerreichbar. Ich komme fast in Versuchung, den Bildschirm anzufassen.
„Es war so schön“, sagt Paul.
„Es war das schönste Wochenende“, sage ich, „meines ganzen Lebens.“
Wir sagen nicht, dass wir jetzt Freunde bleiben wollen oder sowas und ich denke, genau, weil wir es nicht sagen, haben wir vielleicht eine Chance es sogar zu bleiben.
„Die Prinzessin lässt dich ganz lieb grüßen“, sagt Paul.
„Grüß ganz lieb zurück“, sage ich. „Drück sie von mir.“
Dann schicken wir noch ein paar Blumen und Herzen und damit ist meine Affäre mit Paul wohl offiziell beendet.
*
Clara und ich
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