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Nachrichten an Paul

Nachrichten an Paul

Titel: Nachrichten an Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Heinold
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wirkt dagegen mehr wie eine kleine Stadt. In der Barra ist das Café O Farol, wo Jan und ich waren. Dort habe ich auch an dem Tag gesessen, als ich die Asche ins Meer gestreut habe. Dort werde ich auch jetzt wieder hingehen und sehen, ob es mir nicht doch gelingt, die Ketten von meinem Herz zu nehmen. Damit ist es entschieden. Ich biege nach rechts ab, nach Barra.
    Ich sitze im Café und nehme mein Moleskin aus der Handtasche. Immer noch sind alle Blätter leer. Nie habe ich etwas hineingeschrieben. Nicht mal meinen Namen. Immer habe ich es gewollt. Nie habe ich es getan. Da wird es jetzt aber wirklich Zeit. Ich nehme einen Stift in die Hand und plötzlich läuft es von ganz alleine und ich fülle Seite um Seite mit Erinnerungen.
    Wie wir mal am Strand von Aveiro gezeltet haben, damals als man noch wild zelten durfte und nackt durch die Gegend gelaufen sind, weil wir den ganzen Strand für uns hatten. Ich sehe uns im Grünen picknicken und in Restaurants sitzen. Wir spielen Mensch-ärger-dich-nicht und Gin Rummy. Wir streiten, bis wir das Gefühl haben, tiefer kann man den anderen nicht mehr verletzen und dann setzt wirklich einer noch einen drauf und der andere schlägt verbal zurück und siehe da, es ging doch noch tiefer. Dreißig Jahre sind eine lange Zeit, da erlebt man viel zusammen. Viel Gutes und viel Schlechtes. Hauptsache das Gute überwiegt. Und man hat es gut zusammen. Denn dann ist Zusammensein schöner als Alleinesein. Wie sagt doch Robert Redford in Jenseits von Afrika zu Meryl Streep, in einer Szene am Ende des Films: Du hast das Alleinsein für mich verdorben.
    Ich trinke ein Wasser nach dem anderen, gehe pinkeln, kehre an meinen Tisch zurück, schreibe weiter, trinke einen Espresso, esse eine Torrada , trinke ein Wasser, schreibe weiter. Der ganze Tisch steht voll mit Flaschen und Tassen und Tellern, gerade noch ist Platz für mein schwarzes Büchlein, in das ich schreibe und schreibe und unser ganzes Leben hineinpacke.
    Am späten Nachmittag habe ich einen vollen Tisch und ein volles Moleskin und eine schöne Rechnung. Ich zahle und gehe an den Strand. Ich gehe zu der Stelle, wo ich die Asche ins Meer gestreut habe. Ich erkenne die Stelle sofort wieder. Es ist direkt an der Mole. An dem großen Stein. Genau zwischen Fels und Mole.
    Ich nehme mein Büchlein und werfe es ins Meer. Das Buch blättert auf und schon fängt das Meer an, die Tinte aufzulösen.
     
    Ich habe Hunger und sollte vielleicht etwas essen gehen. Ich glaube, ich muss jetzt bald was Richtiges essen, sonst wird mir nämlich irgendwann schlecht. Ich gehe zu einem der Restaurants und setze mich an einen der Tische. Es ist voll und laut. Die Kellner sind damit beschäftigt, Bestellungen aufzunehmen und zwischen Küche und Gästen und Getränketresen hin und her zu rennen. Das wird dauern, bis da einer an meinen Tisch kommt. Ich nehme mein Handy aus der Handtasche und rufe Miguel an.
    „Estou?“, sagt Miguel.
    So meldet man sich hier in Portugal. Nicht mit Namen oder Hallo oder Ja. Nein – man sagt: Ich bin. Was vielleicht so viel heißen soll wie: Ich bin hier. Was man sich ja aber eigentlich denken kann, wenn der andere abnimmt.
    „Miguel?“, sage ich. „Ich bin´s. Anna.“
    „Wo bist du?“, sagt Miguel.
    Das ist so im Handy-Zeitalter. Man fragt nicht mehr, wie geht es dir, man fragt, wo bist du.
    „In Aveiro“, sage ich. „In Barra.“
    „Soll ich vorbeikommen?“, fragt Miguel.
    Mein Herz setzt einen kleinen Schlag aus. Und ich merke, ja, er soll vorbeikommen, das ist ein nettes Angebot, da muss ich hier nicht alleine essen in diesem Restaurant unter lauter fremden Leuten.
    „Ja“, sage ich.
     
    Eine knappe Stunde später ist Miguel da, da muss er ganz schön zugefahren sein, die ganze Strecke von Porto nach Aveiro um diese Zeit im Abendverkehr. Wir teilen einen Reis mit Meeresfrüchten, den ich bestellt habe und der genau fertig ist, als Miguel kommt. Wir reden über alles Mögliche. Außer über uns natürlich. Miguel fragt nicht nach Paul. Und ich frage nicht nach Frauen in Miguels Leben.
    Nach dem Essen gehen wir an den Strand. Wir laufen die ganze Mole hoch, bis zum Ende und wieder zurück. Vom Meer weht ein frischer Wind. Es ist jetzt dunkel, und es wird angenehm kühl, das tut gut nach der Hitze vom Tag. Wir ziehen unsere Schuhe aus und laufen direkt am Wasser lang, ich spüre den nassen Sand unter meinen Füßen. Er ist kühl und gibt nach und unsere nackten Füße hinterlassen Abdrücke im Sand. Das Wellen

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