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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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anschließt, sie vollzieht sich vor aller Augen und zugleich unbemerkt. Technolution, das kann ein Hörgerät sein, eine technologische Erweiterung eines naturgegebenen Sinnes. Oder ein Laserpointer, wie man ihn beim Vortrag benutzt, also die Verlängerung des Zeigefingers durch Licht. Wenn wir fernsehen, schauen wir mit Augen, die für gewöhnlich nur einige hundert Meter weit scharf sehen, über Landesgrenzen. Ob wir es wollen oder nicht — wir sind einhundertprozentige Kinder der Technolution, ohne sie können wir nicht mehr existieren. Sie war und ist unser Weg, uns den natürlichen Umweltbedingungen anzupassen — und den von uns selber geschaffenen künstlichen.
    Die derzeit vielleicht interessanteste Verquickung von Evolution und Technologie ist die Bionik. Sie demonstriert am eindrucksvollsten, wo die Reise hingeht. Grundsätzlich adaptieren bionische Konzepte Formen und Funktionsweisen aus der Natur auf menschliche Bedürfnisse. Ganz besonders die marine Bionik ist im Kommen, denn Meeresorganismen haben über Millionen von Jahren einige der spektakulärsten Fähigkeiten und Problemlösungen in der Natur entwickelt. So wie die der fliegenden Fische, die mit Hilfe ihrer gegabelten Schwanzflosse und papageienähnlicher Schwingen pfeilschnell durch die Lüfte gleiten. Sie ziehen ebenso das Interesse der Hightech-Branche auf sich wie manche Tintenfische, die sich mittels verschließbarer Pigmentbeutel blitzartig ihrer Umgebung anpassen. Die Beutelchen reagieren auf Temperaturschwankungen, ziehen sich zusammen und dehnen sich aus. Mittlerweile bereichert Tintenfischtechnologie die Herstellung von Computerbildschirmen oder Warntafeln in Tunneln, die auf toxische Substanzen reagieren. Selbstreinigende Waschbecken verdanken sich unter anderem dem Studium der ultraglatten Delphinhaut. Überhaupt bereiten Delphine den Bionikern immer neue Freuden. Die drahtlose Datenübertragung unter Wasser zum Beispiel hat Akustiker jahrelang an den Rand der Verzweiflung getrieben, weil ihre Signale unter Wasser vielfach reflektiert wurden und einander überlagerten. Delphine haben das Problem nicht. Sie »singen«, das heißt, sie modulieren ohne Unterlass ihre Sendefrequenz. Wissenschaftler der TU Berlin um den Bionikstar Rudolf Bannasch haben nun ein singendes Sendemodul entwickelt, und endlich versteht man sich ohne jede Interferenz. Flipper sei Dank.
    So neu die Bionik ist, so alt ist sie.
    Schwimmflossen etwa sind nichts anderes als die Adaption von Schwanzflossen, Walen und Fischen abgeguckt. Und man kann noch weiter zurückreisen auf der bionischen Zeitachse. Die erste Beschreibung einer Taucherausrüstung erreicht uns aus dem Jahr 500 v. Chr. in einem Bericht Herodots. Der Mann, um den es darin geht, war auf seine Weise ein großer Bioniker und Pionier der Technolution. Nicht nur wusste er um die Vorzüge eines Rüssels — er hatte Elefanten beobachtet, wie sie längere Zeit untertauchten und dabei durch ihren natürlichen Schnorchel atmeten —, auch vermochte er dieses Prinzip zu abstrahieren und für seine Zwecke neu zu erfinden.
    Sein Name war Scyllis, Sklave an Bord des Flaggschiffs von König Xerxes I.
    Eines Tages kam Scyllis zu Ohren, der Monarch plane einen Angriff auf die griechische Flotte. Scyllis erschrak. Er war selber Grieche und fürchtete um das Leben seiner Landsleute. Irgendwie musste er sie warnen. Nachdem er einige Pläne geschmiedet und wieder verworfen hatte, gelang es ihm schließlich, ein Messer zu stehlen und damit über Bord zu springen — leider nicht so unbemerkt, wie es ihm vorgeschwebt hatte. Doch als die Wachen zur Reling eilten, war Scyllis verschwunden. Wahrscheinlich ertrunken, dachten Xerxes’ Schergen und widmeten sich wieder den Vorberei- tungen des Überfalls, nicht ahnend, dass der Entflohene blau angelaufen unter dem Schiffsrumpf hing. Erst als Scyllis sicher war, dass man das Interesse an ihm verloren hatte, tauchte er japsend auf und schwamm ans nahe gelegene Ufer.
    Xerxes wollte am folgenden Morgen in See stechen. Scyllis fühlte, wie ihm der Mut sank. Wie sollte er das griechische Heer bis dahin warnen? Er war ein schneller Läufer und ausdauernder Schwimmer, so schnell aber nun auch wieder nicht. Ihm blieb nur eine Möglichkeit: Sabotage. Immerhin besaß er nun ein Messer, mit dem er sich vor seinem geistigen Auge allerlei Heldentaten vollbringen sah. Die kühnste bestand darin, sämtliche Ankerseile von Xerxes’ Flotte zu kappen, was die Schiffe mit der Strömung ineinander

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