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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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verderben wollten. Zum anderen kamen Verbände schneller voran, etwa weil sie gemeinsam über eine höhere Zahl Geißeln geboten. Mit der Zeit wurden aus solchen Kolonien eigenständige, immer komplexere Wesen, die einander befruchteten und in ihren Körpern Nachwuchs heranzogen.
    Eine völlig neue Situation war entstanden: Befruchtete Eizellen teilen sich weit langsamer als freie Einzeller — beim Menschen nimmt die Teilung der Eizelle rund 16 Stunden in Anspruch. Maßgeblich aber ist, dass sich die Tochterzellen voneinander unterscheiden. Das große Geheimnis der Vielzeller ist, dass sie nicht einfach Zusammenballungen von Mikroben sind, sondern ihre Zellen sich die Arbeit am heranwachsenden Organismus teilen. Nach wenigen Aufspaltungen verfügt ein Embryo bereits über verschiedene Zelltypen, die zwar alle denselben genetischen Code im Kern tragen, ihn jedoch unterschiedlich nutzen, indem sie bestimmte Regionen ihrer DNS aktivieren oder deaktivieren. Ein fünf Monate alter menschlicher Embryo gebietet über bis zu 200 unterschiedliche Zelltypen, deren Bestimmung im Vorfeld festgelegt ist. Aus manchen Zellen werden Augen, aus anderen Hände, wieder welche sind für Knochen zuständig oder für die Bildung von Blutkörperchen, und so weiter und so fort. Derselbe Grundbaustein wandelt sich zu unterschiedlichen Gewebetypen.
    Vielzeller mit spezialisierten Zelltypen sind der Grund, warum das Leben auf der Erde nicht an sich selbst erstickte. Denn die Körperzellen eines ausgewachsenen Organismus büßen ihre Teilungsfähigkeit ein. Sie können schicke Formen heranbilden und komplizierte Jobs erledigen, aber Fortpflanzung bleibt Sache der Eizellen, denn nur sie verfügen über das komplette genetische Potenzial. Mehr noch, mit dem Sex kam der natürliche Tod in die Welt. Bis dahin waren Zellen — sieht man von ihrer Zerstörung durch äußere Einflüsse ab — praktisch unsterblich gewesen. Körperzellen jedoch wurden nun alt und starben, was irgendwann dazu führte, dass der ganze Organismus abdankte. Im Urozean hatte es fast so etwas wie Unsterblichkeit gegeben. Jetzt wurde die begrenzte Lebensspanne zum Rettungsanker, den Miss Evolution auswarf, damit der Planet nicht wegen Überfüllung geschlossen werden musste. Der Preis für einen Platz im Universum, für Atmen, Fressen, Sex und ein halbwegs vergnügliches Dasein war, diesen nach einer Weile zu räumen. Manche Schildkröten werden locker 200 Jahre alt, die Eintagsfliege trägt ihren Namen nicht von ungefähr. Beide dürften weit davon entfernt sein, mit ihrer Lebensspanne zu hadern. Das tut nur Homo sapiens sapiens kraft des ihm verliehenen Denkapparates, der ihm ständig suggeriert, es gäbe was zu meckern. Aber das Streben nach Unsterblichkeit ist ein ziemlich dummer Wunsch. Die Lebensarbeitszeit würde drastisch heraufgesetzt werden, und danach wäre man für immer Rentner. Statistiker haben errechnet, dass ein Mensch, der täglich eine halbe Stunde mit dem Auto zur Arbeit fährt, im Laufe seines Lebens insgesamt sechs Monate ununterbrochen vor roten Ampeln steht. Das sollte doch wohl reichen. Außerdem hat man irgendwann alle Filme gesehen und kommt ins Gefängnis, weil man seinen schnarchenden Ehepartner nach spätestens 1.000 Jahren umgebracht hat.
    Alle für einen. Viele Zellen, ein Körper. Sex und Gevatter Tod. Miss Evolution hatte keineswegs drei Milliarden Jahre lang nur ihr Werk betrachtet, sie hatte wahrhaft Großes vollbracht. Vorläufig allerdings im Kleinen. Die ersten Mehrzeller dürften winzig gewesen sein, und viel ist von ihnen nicht geblieben. Ohnehin hing ihr Dasein am seidenen Faden. Denn als sie eben dabei waren, sich häuslich einzurichten, kam ihnen der Wetterbericht dazwischen.

 
Von Schneebällen und Luftmatratzen
    Als die Entwicklung der Eukaryonten vor rund 1,4 Milliarden Jahren abgeschlossen war, gab es noch nicht viel sichtbares Land. Was über den Meeresspiegel hinausragte, machte knapp fünf Prozent der Erdoberfläche aus. Das Gros der neu gebildeten Kontinentalfragmente lag unter flachem Wasser. Im Schnitt waren die Ozeane damals weniger tief als heute. Den ersten Superkontinent, Kenor- land, hatte die Geschichte kommen und gehen sehen. Vor etwas über einer Milliarde Jahren hoben sich dann neue, gewaltige Landmassen aus dem Meer. 200 Millionen Jahre nahm ihre Entwicklung in Anspruch, danach war das Rohmaterial für die Physiognomie von Mutter Erde im Wesentlichen komplett. Nur sah alles noch ganz anders aus als heute. Der

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